Weber - Die protestantische Ethik Exzerpt
Aus Leowiki
„Es kam z.B. im Jahre 1895 in Baden auf je 1000 Evangelische ein Kapitalrentensteuerkapital von 954.060 Mk. Auf je 1.000 Katholiken ein Kapitalrentensteuerkapital von 589.000 Mk. Die Juden mit über 4 Millionen auf 1.000 marschieren freilich weit an der Spitze.“ (Fußnote auf S. 10, Herv. i. Orig.)
„Gerade eine große Zahl der reichsten, durch Natur oder Verkehrslage begünstigten und wirtschaftlich entwickeltsten Gebiete des Reiches, insbesondere aber die Mehrzahl der reichen Städte, hatten sich aber im 16. Jahrhundert dem Protestantismus zugewendet und die Nachwirkungen davon kommen den Protestanten noch heute im ökonomischen Kampf ums Dasein zugute. Es entsteht aber alsdann die historische Frage: welchen Grund hatte diese besonders starke Prädisposition der ökonomisch entwickeltsten Gebiete für eine kirchliche Revolution?“ (S. 10, Herv. i. Orig.)
„Die Herrschaft der katholischen Kirche – ‚die Ketzer strafend, doch den Sündern mild’, wie sie früher noch mehr als heute war, - ertragen in der Gegenwart auch Völker von durchaus moderner wirtschaftlicher Physiognomie, die Herrschaft des Calvinismus, so wie sie im 16. Jahrhundert in Genf und Schottland, um die Wende des 16. und 17. in großen Teilen der Niederlande, im 17. in Neuengland und zeitweise in England selbst in Kraft stand, wäre für uns die schlechthin unerträglichste Form der krichlichen Kontrolle des einzelnen, die es geben könnte.“ (S. 11)
„Nicht ein Zuviel, sondern ein Zuwenig von kirchlich-religiöser Beherrschung des Lebens war es ja, was gerade diejenigen Reformatoren, welche in den ökonomisch entwickeltsten Ländern erstanden, zu tadeln fanden. (S. 11, Herv. i. Orig.)
„Daß der Prozentsatz der Katholiken unter den Schülern und Abiturienten der ‚höheren’ Lehranstalten im ganzen hinter ihrem Gesamtanteil and er Bevölkerung beträchtlich zurückbleibt, wird man zwar zum erheblichen Teile den erwähnten überkommen Vermögensunterschieden zurechnen. Daß aber auch innerhalb der katholischen Abiturienten der Prozentsatz derjenigen, welche aus den modernen, speziell für die Vorbereitung zu technischen Studien und gewerblich-kaufmännischen Berufen […] bestimmten und geeigneten Anstalten: Realgymnasien, Realschulen, höheren Bürgerschulen usw. hervorgehen, wiederum auffallend stärker hinter dem der Protestanten zurückbleibt […] das ist eine Erscheinung, die damit nicht erklärt ist, die vielmehr umgekehrt ihrerseits zur Erklärung der geringen Anteilnahme der Katholiken am kapitalistischen Erwerb herangezogen werden muß.“ (S. 12-13, Herv. i. Orig.)
„Man könnte ja hier die Überlegenheit der französischen und holländischen wirtschaftlichen Kultur, welcher diese Diaspora überwiegend entstammte, für das Entscheidende ansehen, oder auch den gewaltigen Einfluß des Exils und der Herausreißung aus den traditionellen Lebensbeziehungen. [Forts. in einer Fußnote] Denn dass die blße Tatsache des Heimatwchsels zu den wichtigsten Mitteln ihrer Intensivierung gehört, steht durchaus fest.“ (S. 18.)
„[D]er ‚Geist der Arbeit’, des ‚Fortschritts’ oder wie er sonst bezeichnet wird, dessen Weckung man dem Protestantismus zuzuschreiben neigt, darf nicht wie es heute zu geschehen pflegt, im ‚aufklärerischen’ Sinn verstanden werden. Der alte Protestantismus der Luther, Calvin, Knox, Voet hatte mit dem, was man heute ‚Fortschritt’ nennt, wenig zu schaffen.“ (S. 19)
„’Bedenke, dass die Zeit Geld ist; wer täglich zehn Schillinge durch seine Arbeit erwerben könnte und den halben Tag spazieren geht, oder auf seinem Zmer faulenzt, der darf, auch wenn er nur sechs Pence für sein Vergnügen ausgibt, nicht dies allein berechnen, er hat neben dem noch fünf Schillinge ausgegeben, oder vielmehr weggeworfen.’[…] Es ist Benjamin Fränklin, der in diesen Sätzen […] zu uns predigt. [Forts. in einer Fußnote] Der Schlusspassus aus: Necessary hints to those that would be richt (geschrieben 1736), das übrige aus: Advice to a young tradesman (1748)“ (S. 22-24, Herv. i. Orig.)
„[S]o fällt als das Eigentümliche in dieser [Franklins, Anm.] ‚Philosophie des Geizes’ der Gedanke der Verpflichtung des einzelnen gegenüber dem als Selbstzweck vorausgesetzten Interesse an der Vergrößerung seines Vermögens auf.“ (S. 24)
„Wenn Jakob Fugger einem Geschäftskollegen, der sich zur Ruhe gesetzt hat und ihm zuredet, das gleiche zu tun, da er nun ‚lange genug gewonnen’ habe und andere auf gewinnen lassen solle, dies als ‚Kleinmut’ verweist und antwortet ‚er (Fugger) hätte viel einen andern Sinn, wollte gewinnen dieweil er könnte’, so unterscheidet sich der ‚Geist’ dieser Äußerung offensichtlich von Franklin: was dort als Ausfluß kaufmännischen Wagemuts und einer persönlich sittlich indifferenten Neigung geäußert wird, nimmt hier den Charakter einer ethisch gefärbten Maxime der Lebensführung an. In diesem spezifischen Sinne wird hier der Begriff ‚Geist des Kapitalismus’ gebraucht. Allerdings sind nun alle moralischen Vorhaltungen Franklins utilitarisch gewendet: die Ehrlichkeit ist nützlich, weil sie Kredit bringt, die Pünktlichkeit, der Fleiß, die Mäßigkeit ebenso, und nur deshalb sind sie Tugenden.“ (S. 24-25, Herv. i. Orig.)
„Sondern vor allem ist das ‚summum bonum’ dieser ‚Ethik’, der Erwerb von Geld und immer mehr Geld, unter strengster Vermeidung alles unbefangenen Genießens, so gänzlich aller eudämonistischen oder gar hedonistischen Gesichtspunkte entkleidet, so rein als Selbstzweck gedacht, dass es als etwas gegenüber dem ‚Glück’ oder dem ‚Nutzen’ des einzelnen Individuums jedenfalls gänzlich Transzendentes und schlechthin Irrationales erscheint. [Forts. in Anm. der 2. Auflage] Brentano nimmt diese Bemerkung zum Anlaß, um die späteren Ausführungen über jene ‚Rationalisierung und Disziplinierung’, welche die innerweltliche Askese an dem Menschen vorgenommen habe, zu kritisieren: das sei also eine ‚Rationalisierung’ zu einer ‚irrationalen Lebensführung’. In der Tat ist dem so. ‚Irrational’ ist etwas stets nicht an sich, sondern von einem bestimmten ‚rationalen’ Gesichtspunkte aus. Für den Irreligiösen ist jede religiöse, für den Hedoniker jede asketische Lebensfühung ‚irrational’, mag sie auch, in ihrem letzten Wert gemessen, eine ‚Rationalisierung’ sein. Wenn zu irgend etwas, so möchte dieser Aufsatz dazu beitragen, den nur scheinbar eindeutigen Begriff des ‚Rationalen’ in seiner Vielseitigkeit aufzudecken.“ (S. 26, Herv. i. Orig.)
„Und noch weniger soll natürlich behauptet werden, dass für den heutigen Kapitalismus die subjektive Aneigung dieser ethischen Maxime durch seine einzelnen Träger, etwa die Unternehmer oder die Arbeiter der modernen kapitalistischen Betriebe, Bedingung der Fortexistenz sei.“ (S. 27, Herv. i. Orig.)
„Wenn man den auf sozialdemokratischen Parteitagen gefallenen Satz ‚Wer nicht parierit, fliegt hinaus’, als Kasernenton’ bezeichnet hat, so ist das ein arges Mißverständnis: aus der Kaserne fliegt der Renitente keineswegs ‚hinaus’, sondern erst recht ‚hinein’ – in die Arrestzelle nämlich. Sondern es ist das ökonomische Lebensschicksal des modernen Arbeiters, wie er es auf Schritt und Tritt erlebt, welches er in der Partei wieder findet und erträgt: die Disziplin in der Partei ist Widerspiegelung der Disziplin in der Fabrik.“ (S. 28.)
„Die absolute Skrupellosigkeit der Geltendmachung des Eigeninteresses ist gerade ein ganz spezifisches Charakteristikum solcher Länder, deren bürgerlich-kapitalistische Entwicklung ‚rückständig’ geblieben ist.“ (S. 30)
„Die Heraufsetzung der Akkordsätze bewirkte auffallend oft nicht etwa, dass mehr, sondern dass weniger an Arbeitsleistung in der gleichen Zeitspanne erzielt wurde, weil die Arbeiter die Akkorderhöhung nicht mit Herauf- sondern mit Herabsetzung der Tagesleistung beantworteten. […] der Mensch will ‚von Natur’ nicht Geld und mehr Geld verdienen, sondern einfach leben, so leben wie er zu leben gewohnt ist und soviel erwerben, wie dazu erforderlich ist. […] Jenen Werg hat denn auch der Kapitalismus von Anfang an wieder und immer wieder beschritten, und Jahrhunderte lang galt es als Glaubenssatz, dass niedere Löhne ‚produktiv’ seien, d-h. da sie die Arbeitsleistung steigerten, dass, wie schon Pieter de la Cour – in diesem Punkte […] Ganz im Geist des alten Calvinismus denken – gesagt hatte, das Volk nur arbeitet, weil und solange es arm ist. Allein die Wirksamkeit dieses anscheinend so probaten Mittels hat Schranken. Gewiß verlangt der Kapitalismus zu seiner Entfaltung das Vorhandensein von Bevölkerungsüberschüssen, die er zu billigem Preis auf dem ‚Arbietsmarkt’ mieten kann. Allein ein Zuviel von ‚Reservearmee’ begünstigt zwar unter Umständen sein quantitatives Umsichgreifen, hemmt aber seine qualitative Entwicklung, namentlich den Übergang zu Betriebsformen, welche die Arbeit intensiv ausnützen.“ (S. 31-33, Herv. i. Orig.)
„Und auch rein geschäftlich versagt der niedere Lohn als Stütze kapitalistischer Entwicklung überall da, wo es sich um die Herstellung von Produkten handelt, welche irgendwelche qualifizierte (gelernte) Arbeit oder etwa die Bedienung kostspieliger und leicht zu beschädigender Maschinen oder überhaupt ein irgend erhebliches Maß scharfer Aufmerksamkeit und Initiative erfordern. Hier rentiert der niedere Lohn nicht und schlägt in seiner Wirkung in das Gegenteil des Beabsichtigten um. Denn hier ist nicht nur ein entwickeltes Verantwortlichkeitsgefühl schlechthin unentbehrlich, sondern überhaupt eine Gesinnung, welche mindestens während der Arbeit von der steten Frage: wie bei einem Maximum von Bequemlichkeit und einem Minimum von Leistung dennoch der gewohnte Lohn zu gewinnen sei, sich loslöst und die Arbeit so betreibt, als ob sie absoluter Selbstzeck – ‚Beruf’ – wäre. Eine solche Gesinnung aber ist nichts Naturgegebenes. Sie kann auch weder durch hohe noch durch niedere Löhne unmittelbar hervorgebracht werden, sondern nur das Produkt eines lang andauernden ‚Erziehungsprozesses’ sein.“ (S. 33-34, Herv. i. Orig.)
„Doch wenden wir uns zunächst wieder der Gegenwart und zwar nunmehr den Unternehmern zu, um auch hier die Bedeutung des ‚Traditionalismus’ zu verdeutlichen.“ (S. 36)
„Die ‚kapitalistische’ Form einer Wirtschaft und der Geist, in dem sie geführt wird, stehen zwar generell im Verhältnis adäquater Beziehung, nicht aber in dem einer ‚gesetzlichen’ Abhängigkeit voneinander; und wenn wir trotzdem für diejenige Gesinnung, welche berufsmäßig und systematisch Gewinn um des Gewinnes willen in der Art, wie dies an dem Beispiel Benjamin Franklins verdeutlicht wurde, erstrebt, hier provisorisch den Ausdruck ‚Geist de Kapitalismus’ gebrauchen, so geschieht dies aus dem historischen Grunde, weil jene Gesinnung in der kapitalistischen Unternehmung ihre adäquateste Form, die kapitalistische Unternehmung andererseits in ihr die adäquateste geistige Triebkraft gefunden hat.“ (S. 37, Herv. i. Orig.; Anm.: Unterschied zwischen den geistigen Triebkräften eines – in Schumpeter’scher Diktion – statischen und eines dynamisch-innovativen Kapitalismus?)
„Der Betrieb etwa einer Bank, oder des Exportgroßhandels, oder auch eines größeren Detailgeschäfts, oder endlich eines großen Verlegers hausindustriell hergestellter Waren sind zwar sicherlich nur in der Form der kapitalistischen Unternehmung möglich. Gleichwohl können sie alle in streng traditionalistischem Geiste geführt werden: die Geschäfte der großen Notenbanken dürfen gar nicht anders betrieben werden, der überseeische Handel ganzer Epochen hat auf der Basis von Monopolen und Reglements streng traditionellen Charakter gehabt, im Detailhandel […] ist die Revolutionierung, welche dem alten Traditionalismus ein Ende macht, noch in vollem Gange – dieselbe Umwälzung, welche die alten Formen des Verlagssystems gesprengt hat, dem ja die moderne Heimarbeit nur der Fram nach Verwandtschaft besitzt.“ (S. 38, Herv. i. Orig.)
„Es war eine in jeder Hinsicht ‚kapitalistische’ Form der Organisation, wenn man auf den rein kaufmännisch-geschäftlichen Charakter der Unternehmer [eines Verlegers, Anm.], ebenso wenn man auf die Tatsache der Unentbehrlichkeit des Dazwischentretens von Kapitalvorräten, welche in einem Geschäft umgeschlagen wurden, ebenso endlich, wenn man auf die objektive Seite des ökonomischen Hergangs sieht. Aber es war traditionalistische Wirtschaft, wenn man auf den Geist sieht, der die Unternehmer beseelte: die traditionelle Lebenshaltung, die traditionelle Höhe des Profits, das traditionelle Maß von Arbeit, die traditionelle Art der Geschäftsführung […] Irgendwann wurde diese Behaglichkeit plötzlich gestört, und zwar oft ganz ohne dass dabei irgend eine prinzipielle Änderung der Organisationsform – etwa Übergang zum geschlossenen Betrieb, zum Maschinenstuhl und dgl. – stattgefunden hätte. […] Die Idylle brach unter dem beginnenden erbitterten Konkurrenzkampf zusammen, ansehnliche Vermögen wurden gewonnen und nicht auf Zinsen gelegt, sondern immer wieder im Geschäft investiert, die alte behäbige und behagliche Lebenshaltung wich harter Nüchternheit bei denen, die mitmachten und hochkamen, weil sie nicht verbrauchten, sondern erwerben wollten, bei denen, die bei der alten Art blieben, weil sie sich einschränken mußten.“ (S. 39-41, Herv. i. Orig.; Anm.: Eine kleine radikal-protestantische Minderheit zwang so quasi als Innovatoren der Mehrheit das System des Kapitalismus auf.)
„Die Frage nach den Triebkräften der Entwicklung des Kapitalismus ist nicht in erster Linie eine Frage nach der Herkunft der kapitalistische verwertbaren Geldvorräte, sondern nach der Entwicklung des kapitalistischen Geistes. Wo er auflebt und sich auszuwirken vermag, da schaffte er sich die Geldvorräte als Mittel seines Wirkens, nicht aber umgekehrt.“ (S. 41. Herv. i. Orig., Fettdruck L.D.; Anm.: Wichtig und in seiner Bedeutung unterschätzt ist der Halbsatz „und sich auszuwirken vermag“, denn er unterstreicht die Notwendigkeit eines institutionellen Rahmens für die Entfaltung der Ideologie der Wenigen, die durch ebendiese Entfaltung eine Veränderung im Verhalten der Vielen erzwingt bzw. nur unter dieser Voraussetzung erzwingen kann. Insofern ist die Frage, ob nicht auch aufklärerisches Gedankengut im Sinne religiöser Toleranz auch einen wesentlichen Beitrag zur Entstehung und Entfaltung des Kapitalismus geleistet hat – und vice-versa.)
„Würde man sie selbst nach dem Sinn ihres rastlosen Jagens fragen, welches des eigenen Besitzes niemals froh wird, und deshalb gerade bei rein diesseitiger Orientierung des Lebens so sinnlos erscheinen muß, so würden sie, falls sie überhaupt eine antwort wissen, zuweilen antworten: ‚die Sorge für die Kinder und Enkel`, häufiger aber und – da jenes Motiv ja offenbar kein ihnen eigentümliches ist, sondern bei dem ‚traditionalistischen Menschen’ ganz ebenso wirkte, - richtiger ganz einfach: dass ihnen das Geschäft mit seiner steten Arbeit ‚zum Leben unentbehrlich’ geworden sei. Das ist in der Tat die einzig zutreffende Motivierung und sie bringt zugleich das Irrationale dieser Lebensführung, bei welcher der Mensch für sein Geschäft da ist, nicht umgekehrt, zum Ausdruck.“ (S. 42, Herv. i. Orig.)
„[W]o einmal die Phantasie eines ganzen Volkes in der Richtung auf das quantitativ ‚Große’ gelenkt ist, wie in den Vereinigten Staaten, da wirkt diese Zahlenromantik mit unwiderstehlichem Zauber auf die ‚Dichter’ unter den Kaufleuten, - aber sonst sind es im ganzen nicht die eigentlich führenden und namentlich nicht die dauernd erfolgreichen Unternehmer, die sich davon einnehmen lassen.“ (S. 42-43)
„In der Gegenwart, unter unseren politischen, privatrechtlichen und Verkehrsinstitutionen, bei den Betriebsformen und der Struktur, die unserer Wirtschaft eigen ist, könnte nun dieser ‚Geist’ des Kapitalismus, wie gesagt, als ein reines Anpassungsprodukt verständlich sein. Die kapitalistische Wirtschaftsordnung braucht diese rücksichtslose Hingabe an den ‚Beruf’ des Geldverdienens […] Aber das sind Erscheinungen einer Zeit, in welcher der Kapitalismus, zum Siege gelangt, sich von den alten Stützen emanzipiert hat“ (S. 44 Herv. i. Orig.)
„Wie ist es historisch erklärlisch, dass im Zentrum der ‚kapitalistischen’ Entwicklung der damaligen Welt, in Florenz im 14. und 15. Jahrhundert, dem Geld- und Kapitalmarkt aller politischen Großmächte, als sittlich bedenklich galt, was in den hinterwäldlerisch-kleinbürgerlichen Verhältnissen von Pennsylvanien im 18. Jahrhundert, wo die Wirtschaft aus purem Geldmangel stets in Naturaltausch zu kollabieren drohte, von größeren gewerblichen Unternehmungen kaum eine Spur, von Banken nur die vorisntflutlichen Anfänge zu bemerken waren, als Inhalt einer sittlich löblichen, ja gebotenen Lebensführung gelten konnte? – Hier von einer ‚Widerspiegelung’ der ‚materiellen’ Verhältnisse in dem ‚ideellen Überbau’ reden zu wollen, wäre ja barer Unsinn.“ (S. 46; Anm.: Kritik am marx’schen Diktum „Das Sein bestimmt das Bewusstsein.“)
„Die rein diesseitige rationale Philosophie hat im 18. Jahrhundert ihre Stätte durchaus nicht allein oder auch nur vorzugsweise in den kapitalistisch höchstentwickelten Ländern gefunden. Der Voltairianismus ist noch heute Gemeingut breiter oberer und – was praktisch wichtiger ist – mittlerer Schichten gerade in den romanisch.katholischen Ländern. […] Man kann eben das Leben unter höchst verschiedenen letzten Gesichtspuntken und nach sehr verschiedenen Richtungen hin ‚rationalisieren’, der ‚Rationalismus ist ein historischer Begriff, der eine Welt von Gegensätzen in sich schließt, und wir werden gerade zu untersuchen haben, wes Geistes Kind diejenige konkrete Form ‚rationalen’ Denkens und Lebens war, aus welcher jener ‚Berufs’-Gedanke und jenes, - wie wir sahen, vom Standpunkt der rein eudämonistischen Eigeninteressen aus so irrationale – Sichhingeben an die Berufsarbeit erwachsen ist, welches einer der charakteristischsten Bestandteile unserer kapitalistischen Kultur war und noch immer ist.“ (S. 48, Herv. i. Orig.; Anm.: Blindheit des Rationalismus, auf die Spitze getrieben in Adornos Dialektik der Aufklärung)
„Das Wort [Beruf, Anm.] in heutigem Sinn aus den Bibelübersetzungen stammt und zwar aus dem Geist der Übersetzer, nicht aus dem Geist des Originals.“ (S. 50, Herv. i. Orig.)
„Und wie die Wortbedeutung [des Wortes Beruf, Anm.] so ist auch – das dürfte im ganzen ja bekannt sein – der Gedanke neu und ein Produkt der Reformation. […] Es kommt also im Begriffe ‚Beruf’ jenes Zentraldogma aller protestantischen Denominationen zum Ausdruck, welches die katholische Unterscheidung der christlichen Sittlichkeitsgebote in ‚praecepta’ und ‚consilia’ verwirft und als einzige Mittel Gott wohlgefällig zu leben, nicht eine Überbietung der innerweltlichen Sittlichkeit durch mönchische Askese, sondern ausschließlich die Erfüllung der innerweltlichen Pflichten kennt, wie sie sich aus der Lebensstellung des einzelnen ergeben, die dadurch eben sein ‚Beruf’ wird.“ (S. 53, Herv. i. Orig.)
„Im Kontrast dazu [dem Mönchtum, Anm.] erscheint die weltliche Berufsarbeit als äußerer Ausdruck der Nächstenliebe und dies wird in allerdings höchst weltfremder Art und in einem fast grotesken Gegensatz zu Adam Smiths bekannten Sätzen [Fußnote: ‚Nicht vom Wohlwollen des Fleischer, Bäckers oder Brauers erwarten wir uns unser Mittagessen, sondern von ihrer Rücksicht auf ihren eigenen Vorteil; wir wenden uns nicht an ihre Nächstenliebe, sondern an ihre Selbstsucht, und sprechen ihnen nie von unseren Bedürfnissen, sondern stets nur von ihrem Vorteil.’] insbesondere durch den Hinweis darauf begründet, dass die Arbeitsteilung jeden einzelnen zwinge, für andere zu arbeiten. [Forts. in der Fußnote:] Der Gegensatz gegen den Thomismus ist der deutschen Mystik und Luther gemeinsam. In den Formulierungen kommt er darin zum Ausdruck, dass Thomas – namentlich um den sittlichen Wert der Kontemplation festhalten zu können, aber auch vom Standpunkt des Bettelmönches aus – sich genötigt fand, den paulinische Satz: ‚wer nicht arbeitet, soll nicht essen’ so zu deuten, dass den Menschen als Gattung, nicht aber allen einzelnen die Arbeit, die ja lege naturae unentbehrlich ist, auferlegt sei.“ (S. 55, Herv. i. Orig.)
„Zwar darf man hier nicht seine [Franklins, Anm.] Klagen über die großen Kaufleute, die Fugger u. dgl. Als Symptom heranziehen. Denn der Kampf gegen die rechtlich oder faktisch privilegierte Stellung einzelner großer Handelskompagnien im 16. und 17. Jahrhundert kann am ehesten dem modernen Feldzug gegen die Trusts verglichen werden und ist ebenso wenig wie dieser schon an sich Ausdruck traditionalistischer Gesinnung.“ (S. 56, Herv. i. Orig.)
„[D]as spezifische des Schriftstücks liegt darin, dass Cromwell – wie jeder, der seinen Charakter kennt, weiß, mit tiefster subjektiver Überzeugtheit – den Iren selbst gegenüber die sittliche Berechtigung ihrer Unterjochung unter Anrufung Gottes auf den Umstand gründet, dass englisches Kapital die Iren zur Arbeit erzogen habe.“ (S. 57, Herv. i. Orig.)
„War der ökonomische Traditionalismus anfangs Ergebnis paulinischer Indifferenz, so ist er also später Ausfluß des immer intensiver gewordenen Vorsehungsglaubens, der den bedingungslosen Gehorsam gegen Gott mit der bedingungslosen Fügung in Gehorsam gegen Gott mit der bedingungslosen Fügung in die gegebene Lage identifiziert.“ (S. 60)
„Aber es ist überhaupt vor allem eins ein für allemal festzuhalten: ethische Reformprogramme sind bei keinem der ‚Reformatoren’ – zu denen wir für unsere Betrachtung auch Männer wie Menno, George Fox, Wesley zu rechnen haben – jemals der zentrale Gesichtspunkt gewesen. […] Das Seelenheil und dies allein ist der Angelpunkt ihres Lebens und Wirkens.“ (S. 65, Herv. i. Orig.)
„Und wir werden deshalb darauf gefaßt sein müssen, dass die Kulturwirkungen der Reformation zum guten Teil – vielleicht sogar für unsere speziellen Gesichtspunkte überwiegend – unvorhergesehene und geradezu ungewollte Konsequenzen der Arbeit der Reformatoren waren, oft weit abliegend oder geradezu im Gegensatz stehend zu Allem, was ihnen selbst vorschwebte. So könnten die nachfolgenden Studien an ihrem freilich bescheidenen Teil vielleicht auch einen Beitrag bilden zur Veranschaulichung der Art, in der überhaupt die ‚Ideen’ in der Geschichte wirksam werden.“ (S. 66, Herv. i. Orig.)
„Dabei müssen wir uns freilich von der Ansicht emanzipieren, man könne aus ökonomischen Verschiebungen die Reformation als ‚entwicklungsgeschichtlich notwendig’ deduzieren. […] Aber andererseits soll ganz und gar nicht eine so töricht doktrinäre These verfochten werden wie etwa die: dass der ‚kapitalistische Geist’ […] oder wohl gar: der Kapitalismus überhaupt nur als Ausfluß bestimmter Einflüsse der Reformation habe entstehen können. […] Sondern es soll nur festgestellt werden, ob und wieweit hier tatsächlich religiöse Einflüsse bei der qualitativen Prägung und quanitativen Expansion jenes ‚Geistes’ über die Welt hin mitbeteiligt gewesen sind und welche konkreten Seiten der kapitalistischen Kultur auf sie zurückgehen.“ (S. 66-67, Herv. i. Orig.)
„Dabei können wir freilich nur so verfahren, dass wir die religiösen Gedanken in einer ‚idealtypisch’ kompilierten Konsequenz vorführen, wie sie in der historischen Realität nur selten anzutreffen war. Denn gerade wegen der Unmöglichkeit, in der historischen Wirklichkeit scharfe Grenzen zu ziehen, könne wir nur bei Untersuchung ihrer konsequentesten Formen hoffen, auf ihre spezifischen Wirkungen zu stoßen.“ (S. 72-73, Herv. i. Orig.)
„Für England […] Ed. Bernsteins ausgezeichneter Essay in der Geschichte des Sozialismus (Stuttgart 1895, Bd. 1 S. 308 f.), auf welches in einem späteren Zusammenhang eingehend zurückzukommen sein wird.“ (S. 73)
„Milton ist ‚Puritaner’ nur in jenem weitern Sinn rationaler Orientierung des Lebens innerhalb der Welt am göttlichen Willen, welche die dauernde Erbschaft des Calvinismus für die Nachwelt dargestellt hat.“ (S. 76, Herv. i. Orig.)
„Gottes Gnade ist, da seine Ratschlüsse unwandelbar feststehen, ebenso unverlierbar für die, welchen er sie zuwendet, wie unerreichbar für die, welchen er sie versagt. In ihrer pathetischen Unmenschlichkeit musste diese Lehre nun für die Stimmung einer Generation, die sich ihrer grandiosen Konsequenz ergab, vor allem eine Folge haben: ein Gefühl einer unerhörten inneren Vereinsamung des einzelnen Individuums.“ (S. 79, Herv. i. Orig.)
„Andrerseits aber bildet sie [die Wertlosigkeit alles rein Kreatürlichen, Anm.] eine der Wurzeln jenes illusionslosen und pessimistisch gefärbten Individualismus, wie er in dem ‚Volkscharakter’ und den Institutionen der Völker mit puritanischer Vergangenheit sich noch heute auswirkt, - in so auffälligem Gegensatz zu der ganz andersartigen Brille, durch welche später die ‚Aufklärung’ die Menschen ansah.“ (S. 80, Herv. i. Orig.)
„[S]ie [die Gnadenwahllehre, Anm.] war ja eben auch nur die extremste Form jener Exklusivität des Gott-vertrauens, auf deren Analyse es hier ankommt. So z.B. in der auffallend oft wiederkehrenden Warnung namentlich der englischen puritanischen Literatur vor jedem Vertrauen auf Menschenhilfe und Menschenfreundschaft.“ (S. 81, Herv. i. Orig.)
„Es scheint zunächst ein Rätsel, wie mit dieser Tendenz zur innerlichen Lösung des Individuums aus den engsten Banden, mit denen es die Welt umfangen hält, die unbezweifelbare Überlegenheit des Calvinismus in der sozialen Organisation sich verknüpfen konnte. [Forts. in der Fußnote:] […] Jede rein gefühlsmäßige – also nicht rational bedingte – persönliche Beziehung von Mensch zu Mensch verfällt in der puritanischen, wie in jeder asketischen, Ethik sehr leicht dem Verdacht, Kreaturvergötterung zu sein. […] Ebenso aber die relativ große Immunität puritanisch gewesener Völker gegen den Cäsarismus, und überhaupt die innerlich freiere, einerseits mehr zum ‚Geltenlassen’ des Großen geneigt, andererseits aber alle hysterische ‚Verliebtheit’ und den naiven Gedanken: man könne zu politischer Obödienz aus ‚Dankbarkeit’ verpflichtet sein, ablehnende Stellung der Engländer zu ihren großen Staatsmännern, - gegenüber Manchem, was wir z.B. von 1878 an in Deutschland – positiv und negativ – erlebten.“ (S. 83, Herv. i. Orig.)
„Die ‚Nächstenliebe’ äußert sich – da sie ja nur Dienst am Rume Gottes, nicht der Kreatur sein darf – in erster Linie in Erfüllung der durch die lex naturae gegebenen Berufsaufgaben, und sie nimmt dabei einen eigentümlich sachlich-unpersönlichen Charakter an, den eines Dienstes an der rationalen Gestaltung des uns umgebenden gesellschaftlichen Kosmos. […] die Quelle des utilitärischen Charakters der calvinistischen Ethik liegt hier.“ (S. 84-85, Herv. i. Orig.)
„[…] treten namentlich zwei miteinander verknüpfte Typen seelsorgerischer Ratschläge als charakteristisch hervor. Es wird einerseits schlechthin zur Pflicht gemacht, sich für erwählt zu halten und jeden Zweifel als Anfechtung des Teufels abzuweisen. […] Und andererseits wurde, um jene Selbstgewißheit zu erlangen, als hervorragendstes Mittel rastlose Berufsarbeit eingeschärft.“ (S. 88-89, Herv. i. Orig.)
„Und es ist ferner richtig, dass jedes religiöse Erlebnis bei dem Versuch rationaler Formulierung alsbald an Gehalt einbüßt, um so mehr, je weiter die begriffliche Formulierung vorschreitet. Darin liegt der Grund zu tragischen Konflikten aller rationalen Theologie, wie bereits im 17. Jahrhundert die täuferischen Sekten wußten. – Aber diese Irrationalität, – welche ja übrigens keineswegs nur dem religiösen ‚Erlebnis’ eignet – sondern (in verschiedenem Sinn und Maße jedem – hindert nicht, dass es gerade praktisch von der allerhöchsten Wichtigkeit ist, von welcher Art das Gedankensystem ist, welches das unmittelbar relgiös ‚Erlebte’ nun für sich, sozusagen, konfisziert und ins eine Bahnen lenkt; denn danach richten sich die meisten jener praktisch so wichtigen Unterschiede in den ethischen Konsequenzen, wie sie zwischen den verschiedenen Religionen der Erde bestehen.“ (S. 94-95, Herv. i. Orig.; Anm.: Das macht deutlich, dass der Inhalt einer Ideologie sehr wohl von Belang ist.)
„Worin andererseits der Gegensatz der calvinistischen gegen die mittelalterliche Askese besteht, liegt auf der Hand: es ist der Wegfall der ‚consilia evangelica’ und damit die Umgestaltung der Askese zu einer rein innverweltlichen.“ (S. 99, Herv. i. Orig.)
„Das Entscheidende aber war, daß der methodisch lebende Mensch par excellence eben doch allein der Mönch war und blieb, dass also die Askese, je intensiver sie den einzelnen erfaßte, desto mehr ihn aus dem Alltagsleben herausdrängte, weil eben in der Überbietung der innerweltlichen Sittlichkeit das spezifisch heilige Leben lag.“ (S. 99, Herv. i. Orig.)
„Den Reformierten schwebt das Gesetz als ideale Norm vor, den Lutheranern schlägt es als unerreichbare Norm nieder.“ (S. 102)
„In ihrer grandiosen Geschlossenheit war es diese Lehre, welche in der schicksalvollsten Epoche des 17. Jahrhunderts den Gedanken, Rüstzeug Gottes und Vollstrecker seiner providentiellen Fügung zu sein, in den kämpfenden Vertretern des ‚heiligen Lebens’ aufrecht erhielt und den vorzeitigen Kollaps in eine rein utilitarische Werkheiligkeit mit nur diesseitiger Orientierung hinderte, die ja zu so unerhörten Opfern um irrationaler und idealer Ziele willen niemals fähig gewesen wäre.“ (S. 104)
„Dieser Antrieb, der eben den asketischen Charakter der Frömmigkeit bedingt, konnte an sich durch verschieden geartete religiöse Motive erzeugt werden […]: die Prädestinationslehre des Calvinismus ist nur eine von verschiedenen Möglichkeiten. […] Aber auch inder Wirklichkeit der geschichtlichen Entwicklung lagen die Dinge, nicht durchweg, aber doch meist, so, daß0 die reformierte Form der Askese von den übrigen asketischen Bewegungen entweder nachgeahmt oder bei der Entwicklung der eigenen davon abweichenden oder darüber hinausgehenden Grundsätzen vergleichend und ergänzend herangezogen wurde.“ (S. 108, Herv. i. Orig.)
„Auf die ‚praxis pietatis’ rückt der entscheidende Nachdruck so stark, dass darüber die dogmatische Rechtgläubigkeit in den Hintergrund tritt, zuweilen direkt indifferent erscheint. […] es lehrt die Erfahrung, dass zahlreiche über die Schultheologie gänzlich unorientierte Christen die offenbarsten Früchte des Glaubens zeitigen, während sich auf der anderen Seite zeigt, dass das bloße theologische Wissen keineswegs die Sicherheit der Bewährung des Glaubens im Wandel mit sich führt.“ (S. 110)
„Es steht mit der Toleranz nicht anders als mit der modernen ‚liberalen’ Idee überhaupt: die religiöse Verankerung des Prinzips der Verwerfung aller menschlichen Autoritäten als ‚Kreaturvergötterung’ und Entwertung der allein Gott und seinem Gesetz geschuldeten unbedingter Unterwerfung des eignen Willens, - wie sie am schärfsten bei den Quäkern, in minder konsequenter Form aber bei allen asketischen Sekten auftrat, - diese Ableitung der ‚Autoritätsfeindschaft’ aus positiv-religiösen Motiven war die historisch entscheidende ‚psychologische’ Grundlage der ‚Freiheit’ in den puritanischen Ländern. Mag man die historische Bedeutung der ‚Aufklärung’ noch so hoch einschätzen, so fehlte ihren freiheitlichen Idealen jene, deren Fortbestand erst sichernde, Verankerung an solchen positiven Antrieben, wie sie auch Gladstones politischer Arbeit überhaupt erst die konstruktive Note gaben. Für die Geschichte der Entstehung und politischen Bedeutung der ‚Gewissensfreheit’ ist bekanntlich Jellineks ‚Erklärung der Menschenrechte’ grundlegend. Auch ich persönlich verdanke dieser Schrift die Anregung zur erneuten Beschäftigung mit dem Puritanismus. [Fort. in Anm. zur 2. Aufl.] Nachdrücklich sei nochmals bemerkt: dass die gelegentlich vertretene Ansicht: die Toleranz als solche sei dem Kapitalismus zugute gekommen, natürlich völlig irrig ist. Religiöse Toleranz ist nichts spezifisch Modernes oder Okzidentales. Sie hat in China, in Indien, in den großen vorderasiatischen Reichen im Zeitalter des Hellenismus, im Römerreich, in den islamischen Reichen, während langer Zeiträume in einen nur durch Gründe der Staatsraison (die auch heute die Schranke bilden!) begrenzten so weiten Umfang geherrscht, wie nirgends auf der Welt im 16. und 17. Jahrhundert, am allerwenigsten aber in den Gebieten, wo der Puritanismus herrschte, wie z.B. in Holland und Seeland in der Zeit des politisch-ökonomischen Aufstieges oder im puritanischen Alt- oder Neuengland. […] Folglich hat Toleranz als solche mit dem Kapitalismus gewiß nicht das geringste zu tun. Es kam darauf an: wem sie zugute kam.“ (S. 111, Herv. i. Orig.; Anm.: Fraglich, ob die völlige Bedeutungslosigkeit von Toleranz auch für den entwickelten Kapitalismus gilt, vor allem wenn man Unvorhersehbarkeit produktiver Innovationen unterstellt.)
„Für unsere speziellen Gesichtspunkte jedenfalls bedeutet der Pietismus lediglich das Eindringen methodisch gepflegter und kontrollierter, d.h. also asketischer Lebensführung auch in die Gebiete der nicht calvinistischen Religiosität.“ (S. 114-115, Herv. i. Orig.)
„Andererseits wird durch die Schaffung einer Methode für die Herbeiführung des ‚Bußkampfs’ im Effekt auch die Erlangung der göttlichen Gnade Objekt rationaler menschlicher Veranstaltung.“ (S. 118, Herv. i. Orig.)
„Die ausgeprägte Vorliebe der protestantischen Askese für den durch mathematische Fundamentierung rationalisierten Empirismus ist bekannt und hier noch nicht näher zu erörtern. […] Die bevorzugte Disziplin alles puritanischen, täuferischen und pietistischen Christentums ist demgemäß die Physik und demnächst andere mit gleichartiger Methode arbeitende mathematisch-naturwissenschaftliche Disziplinen.“ (S. 121)
„Alles in allem werden wir, wenn wir den deutschen Pietismus unter den für uns hier in Betracht kommenden Gesichtspunkten betrachten, in der religiösen Verankerung seiner Askese ein Schwanken und eine Unsicherheit zu konstatieren haben, welche gegen die eherne Konsequenz des Calvinismus erheblich abfällt und teils durch lutherische Einflüsse, teils durch den Gefühlscharakter seiner Religiosität bedingt ist.“ (S. 122, Herv. i. Orig.)
„Wie sich dieser Grundsatz in den scheinbaren unwichtigen Äußerlichkeiten bei den Quäkern äußerte (Ablehnung des Hutabnhemens, Kniens, Sich-Verbeugens und ebenso der Pluralanrede) ist bekannt. Aber der Grundgedanke ist an sich jeder Askese in gewissem Umfang eigen, die deshalb in ihrer genuinen Gestalt stets ‚autoritätsfeindlich’ ist.“ (S. 134, Herv. i. Orig.)
„Es ist hier ganz absichtlich vorläufig nicht von den objektiven sozialen Institutionen der altprotestantischen Kirchen und deren ethischen Einflüssen ausgegangen worden, insbesondere nicht von der so wichtigen Kirchenzucht, sondern von den Wirkungen, welche die subjektive Aneigung der asketischen Religiosität seitens der einzelnen auf die Lebensführung hervorzubringen geeignet war. Dies nicht nur deshalb, weil diese Seite der Sache bisher die weitaus weniger beachtete ist. Sondern auch, weil die Wirkung der Kirchenzucht keineswegs immer in der gleichen Richtung lag. Die kirchenpolizeiliche Kontrolle des Lebens der einzelnen, wie sie in den Gebieten der calvinistischen Staatskirchen bis dicht an die Grenze der Inquisition getrieben wurde, konnte vielmehr jener Entbindung der individuellen Kräfte, welche durch das asketische Streben nach methodischer Heilsaneignung bedingt war, geradezu entgegenwirken und hat dies unter Umständen tatsächlich getan. Genau wie die merkantilistische Reglementierung des Staats zwar Industrien züchten konnte, aber, wenigstens für sich allein, nicht den kapitalistischen ‚Geist’, - den sie vielmehr, wo sie polizeilich-autoritären Charakter annahm, vielfach direkt lahmte, so konnte die gleiche Wirkung auch von der kirchlichen Reglementierung der Askese ausgehen, wenn sie sich allzu überwiegend polizeilich entwickelte: sie erzwang dann ein bestimmtes äußeres Verhalten, lahmte aber unter Umstanden die subjektiven Antriebe zur methodischen Lebensführung.“ (S. 141, Herv. i. Orig.; Anm.: Interessante Thesen über die unintendiert-paradoxen Konsequenzen von Kontrolle und Aufsicht)
„Das sittlich wirklich Verwerfliche ist nämlich das Ausruhen auf dem Besitz, der Genuß des Reichtums mit seiner Konsequenz von Müßgkeit und Fleischeslust, vor allem von Ablenkung von dem Streben nach ‚heiligem’ Leben. Und nur weil der Besitz die Gefahr diese Ausruhens mit sich bringt, ist er bedenklich.“ (S. 145, Herv. i. Orig.)
„Zeitvergeudung ist also die erste und prinzipiell schwerste aller Sünden. Die Zeitspanne des Lebens ist unendlich kurz und kostbar, um die eigene Berufung ‚festzumachen’. Zeitverlust durch Geselligkeit, ‚faules Gerede’, Luxus, selbst durch mehr als der Gesundheit nötigen Schlaf – 6 bis höchstens 8 Stunden – ist sittlich absolut verwerflich. [Forts. in der Fußnote:] Auch hier bewegt sich die protestantische Askese in altbewährten Bahnen. Wir sind gewohnt, als dem modernen Berufsmenschen spezifisch anzusehen, dass er ‚eine Zeit hat’, und messen z.B. etwa – so schon Goethe in den ‚Wanderjahren’ – das Maß der kapitalistischen Entwicklung daran, dass die Uhren die Viertelstunden schlagen (so auch Sombart in seinem ‚Kapitalismus’). – Wir wollen aber doch nicht vergessen, dass der erste Mensch, der (im Mittelalter) mit eingeteilter Zeit lebte, der Mönch war und dass die Kirchenglocken seinem Bedürfnis der Zeiteinteilung zuerst zu dienen hatten.“ (S. 146, Herv. i. Orig.)
„Denn der Geschlechtsverkehr ist auch in der Ehe nur als das von Gott gewollte Mittel zur Mehrung seines Ruhmes, entsprechend dem Gebot: ‚Seid fruchtbar und mehret euch’ zulässig. [Forts. in der Fußnote:] ‚A sober procreation of children’ ist ihr Zweck nach Baxter.“ (S. 148)
„Aber die Arbeit ist darüber hinaus, und vor allem, von Gott vorgeschriebener Selbstzweck des Lebens überhaupt. Der paulinische Satz: ‚Wer nicht arbeitet, soll nicht essen’ gilt bedingungslos und für jedermann. [Forts. in der Fußnote:] Nur dass der mächtige Idelismus der puritanischen Anschauuung – mögen ihre Prüderieen uns eng, oft lächerlich, zuweilen widerlich, erscheinen – auch unter rassenkonservierenden Gesichtspunkten und rein ‚hygienisch’ betrachtet, positive Erfolge aufzuweisen hatte, […] Wie bei jener rationalen Deutung der geschlechtlichen Beziehungen bei den puritanisch beeinflussten Völkern schließlich doch jene Verfeinerung und geistig-ethische Durchdringung der ehelichen Beziehungen und die feinen Blüten ehelicher Ritterlichkeit erwachsen sind, - im Gegensatz zu jenem bäurisch patriarchalen Brodem, der bei uns bis in die Kreise der ‚Geistesaristokratie’ noch in oft sehr fühlbaren Rückständen vorhanden ist, - das bleibt hier natürlich außer Erörterung. Täuferische Einflüsse sind dabei entscheidend mitbeteiligt; der Schutz der Gewissensfreiheit der Frau und die Ausdehnung des Gedankens des ‚allgemeinen Priestertums’ auf sie waren auch hier die ersten Breschen im Patriarchalismus.“ (S. 149, Herv. i. Orig.; Anm: Stichwort: Feminismus vs. Patriachat)
„Auch der Besitzende soll nicht essen, ohne zu arbeiten, denn wenn er auch zur Deckung seines Bedarfs der Arbeit nicht benötigt, so besteht doch Gottes Gebot, dem er ebenso zu gehorchen hat, wie der Arme.“ (S. 150)
„Der utilitarismus ist eben […] Konsequenz der unpersönlichen Gestaltung der ‚Nächstenliebe’ und der Ablehnung aller Weltverherrlichung durch die Exklusivität des puritanischen ‚in majorem Die gloriam’.“ (S. 152)
„Nicht Arbeit an sich, sonderen rationale Berufsarbeit ist eben das von Gott verlangte.“ (S. 153)
„Wenn also, wie mehrfach schon die Zeitgenossen, so auch neuere Schriftsteller die ethische Grundstimmung speziell des englischen Puritanismus als ‚English Hebraism’ bezeichnen, so sit dies, richtig verstanden, durchaus zutreffend. [Forts. in der Fußnote:] Wenn z.B. im Talmud […] eingeschäft wird: es ist besser und wird von Gott reicher belohnt, wenn man aus Pflicht etwas Gutes tut, als eine gute Tat, zu der man durch das Gesetz nicht verpflichtet ist, - m.a.W.: lieblose Pflichterfüllung steht ethisch höher als gefühlsmäßige Philanthropie, so würde die puritanische Ethik das dem Wesen nach ebenso akzeptieren, wie Kant, der von Abkunft Schotte und in seiner Erziehung stark pietistisch beeinflusst war, im Ergebnis dem Satze nahe kommt“ (S. 158-159, Herv. i. Orig.)
„Romane u. dgl. sollen als ‚wastetimes’ nicht gelesen werden […] – Das Eintrocknen der Lyrik und des Volksliedes, nicht nur des Dramas, nach dem elisabethanischen Zeitalter in England ist bekannt. An bildender Kunst hat der Puritanismus wohl noch nicht allzu viel zu unterdrücken vorgefunden. Auffallend ist der Absturz von einer anscheinden ganz guten musikalischen Veranlagung zu jenem absoluten Nichts, welches wir bei den angelsächsischen Völkern später und noch heute in dieser Hinsicht bemerken. Außer in den Negerkirchen […] hört man auch in Amerika meist nur das für deutsche Ohren unerträgliche Gekreisch als ‚Gemeindegesang’.“ (S. 162-163)
„Jene mächtige Tendenz zur Uniformierung des Lebensstils, welcher heute das kapitalistische Interesse an der ‚standardization’ der Produktion zu Seite steht, hat in der Ablehnung der ‚Kreaturvergötterung’ ihre ideelle Grundlage.“ (S. 164)
„Wem, der die Augen offen hat, wären Repräsentatnen dieser Auffassung nicht bis in die Gegenwart hinein begegnet? Der Gedanke der Verpflichtung des Menschen gegenüber seinem anvertrauten Besitz, dem er sich als dienender Verwalter oder geradezu als ‚Erwerbsmaschine’ unterordnet, legt sich mit seiner erkältenden Schwere auf das Leben […] Auch die Genesis diese Lebensstils reicht in einzelnen Wurzeln, wie so viele Bestandteile des kapitalistischen Geistes, in das Mittelalter zurück, aber erst in der Ethik des asketischen Protestantismus fand er seine konsequente ethische Unterlage. Seine Bedeutung für die Entwicklung des Kapitalismus liegt auf der Ahnd. Die innerweltliche protestantische Askese […] wirkt also mit voller Wucht gegen den unbefangenen Genuß des Besitzes, sie schnürt die Konsumtion, speziell die Luxuskonsumtion, ein. Dagegen entlastet sie im Effekt den Gütererwerb von den Hemmungen der traditionalistischen Ethik, sie sprengt die Fesseln des Erwerbsstrebens, indem sie es nicht nur legalisiert, sondern […] direkt als gottgewollt ansieht. Der Kampf gegen Fleischeslust und das Hängen an äußeren Gütern ist, wie neben den Puritanern auch der große Apologet des Quäkertums, Barclay, ausdrücklich bezeugt, kein Kampf gegen Reichtum und Erwerb, sondern gegen die damit verbundenen Versuchungen.“ (S. 166-167, Herv. i. Orig.)
„Nicht Kasteiung will sie dem Besitzenden aufzwingen, sondern Gebrauch seines Besitzes für notwendige und praktisch nützliche Dinge.“ (S. 168)
„Und halten wir nun noch jene Einschnürung der Konsumtion mit der Entfesselung des Erwerbsstrebens zusammen, so ist das äußere Ergebnis naheliegend: Kapitalbildung durch asketischen Sparzwang. Die Hemmungen, welche dem konsumtiven Verbrauch des Erworbenen entgegenstanden, mußten ja seiner produktiven Verwendung als Anlagekapital zugute kommen. [Forts. in der Fußnote:] Daran denkt Ed. Bernstein, wenn er in seinem schon früher zitierten Aufsatz (S. 681 u. S. 625) sagt: 'Die Askese ist eine bürgerliche Tugend.' Seine Ausführungen a.a.O. sind die ersten, die diese wichtigen Zusammenhänge überhaupt angedeutet haben. Nur ist der Zusammenhang ein viel umfassenderer, als er vermutet. Denn nicht die bloße Kapitalakkumulation, sondern die asketische Rationalisierung des gesamten Berufslebens ist das Entscheidende“ (S. 169-170, Herv. i. Orig.)
„Daß ferner die zu allen Zeiten und überall vorhanden gewesene, auch bei uns heute recht wirksame, Tendenz zur ‚Veradligung’ bürgerlicher Vermögen durch die Antipathie des Puritanismus gegen feudale Lebensformen fühlbar gehemmt werden mußte, liegt auf der Hand.“ (S. 170)
„Gewiß: diese puritanischen Lebensideale versagten bei einer allzu starken Belastungspfrobe durch die den Puritanern selbst ja sehr wohlbekannten ‚Versuchungen’ des Reichtums. Sehr regelmäßig […] finden wir die genuinsten Anhänger puritanischen Geistes in den Reihen der erst im Aufsteigen begriffenen Schichten der Kleinbürger und Farmer“ (S. 171, Herv. i. Orig.)
„Ist doch die ganze Beschichte der Ordensregeln in gewissem Sinne ein stets erneutes Ringen mit dem Problem der säkularisierenden Wirkung des Besitzes.“ (S. 172)
„Was jene religiös lebendige Epoche des 17. Jahrhunderts ihrer utilitarischen Erbin vermachte, war aber eben vor allem ein ungeheuer gutes – sagen wir getrost ein pharisäisch gutes – Gewissen beim Gelderwerb, wenn anders er sich nur in legalen Formen vollzog.“ (S. 172, Herv. i. Orig.)
„Ein konstitutiver Bestandteil des kapitalistischen Geistes, und nicht nur dieses, sondern der modernen Kultur: die rationale Lebensführung auf Grundlage der Berufsidee, ist – das sollten diese Darlegungen erweisen – geboren aus dem Geist der christlichen Askese.“ (S. 175, Herv. i. Orig.)
„Die Unpersönlichkeit der heutigen Arbeit: ihre, vom Standpunkte des Einzelnen aus betrachtet, freudenarme Sinnlosigkeit, ist hier noch religiös verklärt. Der Kapitalismus in der Zeit seiner Entstehung aber brauchte Arbeiter, die um des Gewissens willen der ökonomischen Ausnutzung zur Verfügung standen.“ (S. 175, Herv. i. Orig.)
„Der Puritaner wollte Berufsmensch sein, - wir müssen es sein.“ (S.176, Herv. i. Orig.)
„Heute ist der Geist – ob endgültig, wer weiß es? – aus diesem Gehäuse entwichen. Der siegreiche Kapitalismus jedenfalls bedarf, seit er auf mechanischer Grundlage ruht, dieser Stütze nicht mehr.“ (S. 177)
„Denn obwohl der moderne Mensch im ganzen selbst beim besten Willen nicht imstande zu sein pflegt, sich die Bedeutung, welche religiösen Bewußtseinsinhalte auf die Lebensführung, die ‚Kultur’ und die ‚Volkscharaktere’ gehabt haben, so groß vorzustellen, wie sie tatsächlich gewesen ist, - so kann es dennoch natürlich nicht die Absicht sein, an Stelle einer einseitig ‚materialistischen’ eine ebenso einseitig spiritualistische kausale Kultur- und Geschichtsdeutung zu setzen. Beide sind gleich möglich, aber mit beiden ist, wenn sie nicht Vorarbeit, sondern Abschluß der Untersuchung zu sein beanspruchen, der historischen Wahrheit gleich wenig gedient.“ (S. 178-179, Herv. i. Orig.)