Leser - Der Sturz des Adlers Kommentar
Aus Leowiki
Sehr luzide Kritik des Austromarxismus, gegen Ende hin teilweise etwas verbittert und - insbesondere im Vergleich zu ähnlichen Entwicklungen in der Wirtschaft - sehr kritisch gegenüber Privilegien im politischen Bereich.
- "Die Idee wird zur Gewalt, wenn sie die Massen ergreift" (Marx, S. 25)
- Über die Schuldfrage am Schweitern der 1. Republik (S. 83, Herv. i. Orig.): "Die Hauptschuld tragen jene, die den Boden der Demokratie und Legalität verlassen haben, eine freilich viel kleinere Mitschuld tragen aber auch jene, die wie die Austromarxisten das Ihre zur Polarisierung und Aufschaukelung der Emotionen beigetragen haben. Diese Einschätzung der 'geteilten Schuld', die freilich keine gleichmäßig verteilte ist, hat mich in der SPÖ zur persona non grat gemacht. (...) Der Psychoanalytiker Helmwart Hierdeis hat die Einsicht, nicht bloßes Opfer zu sein, sondern auch als Opfer Schuld auf sich geladen zu haben, als 'die wichtigste Voraussetzung für eine Aussöhnung zwischen Menschen' bezeichnet."
- Die Warnung Karl Renners 1928 zitierend ("Die Armee wäre verloren, die ihre Feldprediger zu ihren Feldherren machen wollte."), verweist Leser auf die Bezeichnung Max Adlers als den "Feldrabbiner des Sozialismus", mehr noch aber auf Parteiführer Otto Bauer, den er als "guten Feldprediger" aber "schlechten Feldherren" bezeichnet. (S. 89)
- S. 94 f.: "In diesem Zusammenhang wieder Otto Bauer im Originalton: 'Wir sind keine kleinbürgerlichen Vulgärdemokraten, die die Demokratie über den Sozialsimus stellen. Wir sind Demokraten um des Sozialismus willen.' Ein solches Demokratieverständnis ist nicht das einer 'offenen Gesellschaft' im Sinne Karl Poppers. Denn eine 'offene Gesellschaft' setzt voraus, dass auch der Ausgang des politischen Prozesses ein offener ist. Die Sozialdemokratie aber war von der historischen Notwendigkeit des Kommens des Sozialismus und von der Irreversibilität des einmal gekommenen Sozialsmus überzeugt und huldigte damit zwei Annahmen, die bloß in ihrer Einbildung existierten. Die politische Gegenseite war ebenfalls nicht aus prinzipiellen Gründen für die Demokratie, sondern nur dehsalb und so lange, als ihnen der demokratische Weg der erfolgversprechende schien."
- Über den Zshg. zw. Faschismus und Bolschewismus (S. 110; Herv. L.D.): "Der Aufstieg und Sieg des Faschismus in verschiedenen Ländern Europas ist im Wesentlichen auf zwei Faktoren zurückzuführen: auf die russische Revolution und deren Rezeption in Form der Abwehr und Nachahmung und auf das Versagen der Sozialdemokratie aufgrund einer falschen Ideologie. Ohne die Angst vor dem Bolschewismus wäre Hitler nie an die Macht gekommen. Karl Renner hat diesen Zusammenhang in zwei kurzen Sätzen zusammengefasst: 'Der Faschismus war ein unvermeidlicher Reflex auf die bolschewistische Oktoberrevolution'; und: 'Der westliche Sozialismus hat die Unkosten des russischen Expiermentes bezahlt.' Anm.: Diese Faktoren haben mit Sicherheit bei der Entstehung des Faschismus eine große Rolle gespielt, Leser vernachlässigt aber auch andere, "objektive" Faktoren im Zuge des Aufstiegs der Marktgesellschaft, wie sie insbesondere von Polanyi ins Treffen geführt werden.
- Über die Fehler Bauers, Popper zitierend (S. 110): "'der Marxismus besonders die österreichische Sozialdemokratie in eine Sackgasse geführt und außerdem in eine Situation gebracht hat, wo die wirklichen Probleme durch andere verdrängt wurden. Und wo man nicht gesehen hatte, daß der Kampf gegen den Faschismus ganz unabhängig davon zu führen ist, ob der Sozialismus die Zukunft ist oder nicht. Darum handelte es sich nicht. Es handelte sich nur darum, die Freiheit, die man errungen hatte, zu verteidigen. Man hat sie wirklich verloren, weil man sie eben nicht als Freiheit gewürdigt und verteidigt hat. (...)' Popper spricht von der 'intellektuellen Anmaßung', besonders Otto Bauers, 'die sich auf nichts als auf die unverdaute Lektüre von einigen marxistischen Schriften stütze.' (...) Diese Leichtfertigkeit und Unbekümmertheit gegenüber ehrlich gemeinter und wohldurchdachter Kritik ist der SPÖ is auf den heutigen Tag erhalten geblieben, nur dass inzwischen, frei nach Hegel und Marx, aus der Tragödie eine Farce geworden ist."
- Über den Umgang mit dem austromarxistischen Erbe in der 2. Republik (S. 123): "Man löste dieses Problem durch die stillschweigende Arbeitsteilung zwischen einer pragmatischen Führung und einer auf einem Abstellgleis agierenden traditionalistischen Sondereinheit."
- Über Hindels (S. 125): "Hindels war ein glänzender, aber von Geifer und Hass erfüllter Redner, der vor allem auf Jugendliche, auf politisch Halbwüchsige und Halbgebildete, Einfluss hatte."
- Über "Parteipatriotismus" im Umgang mit KritikerInnen (S. 139): "In beiden Fällen (Olah und Deutsch, Anm. L.D.) kam das zum Tragen, was Otto Bauer als 'Parteipatriotismus' bezeichnet hatte, eine Haltung, die wie der nationale Patriotismus in die Maxime des 'right or wrong, my country' mündet. Erst Kreisky machte die SPÖ zu einer - relativ - offenen Partei, .."
- Über Sozialismus als das "Salz der Gesellschaft" (S. 145): "Freilich, die Kehrseite dieses Kompliments ist die bitter wie Salz schmeckende Wahrheit, dass Salz bzw. der mit ihm parallelisierte Sozialismus keine Hauptspeise, sondern nur eine Würze und Zutat ist und dass der Sozialismus durch die von ihm hinzugefügten Zutaten den Kapitalismus erst erträglich und bekömmlich gemacht hat."
- Über den Entwurf Benedict Kautskys für das Parteiprogramm von 1958 (S. 149 f.): "Der Einleitungssatz, an dem sich alle Linken stießen und der dann auch nicht Eingang ins Parteiprogramm fand, lautete: 'Die moderne Gesellschaft hat sich völlig anderes entwickelt, als Marx es im Kommunistischen Manifest voraussagte.' (...) Ein anderer Punkt, der abgeschwächt und verwässert wurde, war der Passus, der im Entwurf Kaiutskys folgendermaßen lautete: 'Der demokratische Sozialismus ist der Todfeind sowohl des Faschismus wie des Kommunismus. Die beiden konnten und können sich miteinander verbinden. Stets aber sind beide unversöhnliche Gegner des demokratischen Sozialisms, in dessen Namen alle Revolutionen im kommunistischen Raum - von Kronstadt bis Budapest - durchgekämpft wurden.' (...) Immerhin blieb im Programm noch der folgende Satz übrig: 'Zwischen Sozialismus und Diktatur gibt es keine Gemeinscahft. Daher sind die Sozialisten unbeugsame und kompromisslose Gegner des Faschismus wie des Kommunismus. (...) Kautsky hatte in seinem Entwurf zum Verhältnis zwischen Religion und Sozialismus das Folgende ausgeführt: 'Noch ehe der Sozialismus durch Marx und Engels beeinflusst worden ist, hat es einen christlichen Sozialismus gegeben. Er hat sich stets neben dem Marxismus und anderen, weltanschaulich indifferenten sozialistischen Strömungen behauptet und stellt nach wie vor in vielen Ländern die maßgebliche Form des Sozialismus dar. (...) So ist die Labour Party ohne nenneswerten marxistischen Einfluss durch die Aktivitäten christlicher Laienprediger, wie des Parteigründers Keir Hardie, groß geworden, ..."
- "Der Verbalradikalismus hat die Sozialdemokratie vielfach um die Honorierung ihrer unbestreitbaren historischen Verdienste gebracht." (S. 154; Anm.: Allerdings hat er gerade in Österreich auch die Spaltung der ArbeiterInnenbewegung verhindert - ein Umstand, auf den Leser fast überhaupt nicht eingeht.)
- Leser ist dafür auf dem feministischen Auge sehr blind, vergleiche insbesondere sein Hohelied auf die Burschenschaften auf S. 155 ff.
- Vergleich zwischen Franz Olah und Perón (S. 162): "Was diesen Vergleich aber dennoch stichhaltig macht, ist der Umstand, dass Perón weder demokratisch noch liberal, sondern autoritär und konservativ war. Und die ARbeiter sind, im Gegensatz zu dem, was die linken Intellektuellen von ihnen glauben, ebenfalls weder demokratisch noch liberal, sondern - nicht zuletzt in ihrer häuslichen Sphäre - durchaus autoritär und repressiv." (Anm.: Was im übrigen auch der Grund für die Mehrheitsfähigkeit bzw. sogar Dominanz der republikanischen Partei in den USA erklärt.)
- Über Gescherkschaft als Vertretung von Partikularinteressen (S. 183): "So z.B. der Umstand, dass sich die Gewerkschaft zwar als Interessenvertretung der Beschäftigten und Pragmatisierten, nicht aber der Arbeitslosen und der nur prekär Beschäftigten verstnd."
- "Doch noch im Vorentwurf Benedikt Kautskys zum Wiener Programm von 1958 hieß es: 'Freiheit ist ohne Gleichheit eenso undenkbar wie Gleichheit ohne Freiheit." (S. 189)
- Verweis auf die "Vergroßbürgerlichung der Partei" im Gefolge Franz Vranitzkys. (S. 195)
- "Die einseitige Betonung der Gerechtigkeit führt zur absurden Konsequenz des 'Fiat iustitia, pereat mundus', wonach Gerechtigkeit zu walten hat, auch wenn die Welt darüber zugrunde geht." (S. 200; Anm.: Vgl. in diesem Zusammenhang auch das christliche Vergebungsgebot zur Durchbrechung ansonsten endloser Teufelskreise der Blutrache)