Buckel et al. - Neue Theorien des Rechts

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Buckel, Sonja/Christensen, Ralph/Fischer-Lescano, Andreas (2009): Einleitung. In: Buckel, Sonja/Christensen, Ralph/Fischer-Lescano, Andreas (Hg.): Neue Theorien des Rechts. 2., neu bearbeitete Auflage. Stuttgart, Lucius & Lucius

„Die gesellschaftliche Ausdifferenzierung und die Globalisierung des Rechts schaffen neue, vielfältige Rechtsarenen sowie neue gesellschaftliche Akteure jenseits der alten nationalstaatlichen Apparate. (...) Heute geht es darum, das Recht als ein dynamisches System zu begreifen, das nicht einfach in einer hierarchischen Normstruktur schon vorgegeben ist, sondern hergestellt wird. Dies erfolgt in Rechtsverfahren, im Streit der Beteiligten, in richterlichen Begründungen, in Skandalisierungsprozessen, poolitischen Interventionen, insgesammt also in lokalen und globalen Netzwerken der Rechtskreation.“ (S. XIII, Herv. L.D.)


Niesen, Peter/Eberl, Oliver: Demokratischer Positivismus: Habermas und Maus. In: Buckel, Sonja/Christensen, Ralph/Fischer-Lescano, Andreas (Hg.): Neue Theorien des Rechts. 2., neu bearbeitete Auflage. Stuttgart, Lucius & Lucius, 3-26

„Nach Maus ist der Anspruch des Rechtspositivismus, ‚sozialrationale Ordnung in zweckrationale Natürwüchsigkeit hineinzubringen’, während sein Gegenentwurf, der ‚soziologische Positivismus’, als dessen modernste und radikalste Version sie die Rechtstheorie Carl Schmmitts sieht, die bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse affirmativ zum Ausgangspunkt macht.“ (S. 12)

„Unter dem Dynamisierungsdruck einer rapiden technischen, wissenschaftlichen und ökonomischen Entwicklung werden in ansonsten präzise Rechtstexte unbestimmte Rechtsbegriffe, Generalklauseln und Zielformeln eingebaut, die Gesetze zu ‚Gesetzesattrappen’ deformieren und so die Spielräume der Staatsapparate, ohne den ‚legitimatorischen Schein der Gesetzesbindung’ aufzugeben, in konkreten Anwendungssituationen erweitern. Diese Entformalisierung des Rechts stellt eine ernsthafte Herausforderung für eine Theorie dar, die die demokratische Kontrolle politischer Entscheidungen zum Thema hat. Nicht bereits die zunehmende Verrechtlichung führe zum Freiheitsverlust, sondern erst die Entrechtlichungstendenzen, die in die Verrechtlichung selbst eingebaut sind und jede demokratische Willensbildung unterlaufen.“ (S. 15; Anm.: vgl. regulatory uncertainty; Zitate aus Maus (1986))

„Mit der Unterscheidung zuwischen einer zentral vorgenommenen Setzung von Verfahrensrecht und einer davon getrennten dezentralen Rechtsetzung, könnten in ‚bereichs- und gruppenspezifischen Teilmengen des Rechts’ gesellschaftlich autonome Rechtssetzungsprozesse verwirklicht werden. Dabei ääwären Verfahrenspositionen gesetzlich so zuzuweisen, dass Minoderheiten sich gegen automatische Majorisierungen selber schützen könnten; in zentralen Bereichen müssten betroffene Minderheiten über ‚verfahrensförmige Vetopositionen verfügen’.“ (S. 16; Anm.: Zitate aus Maus (1986))

„Dass das Auseinandertreten von Rechtssetzung und Rechtserzwingung für die Ebene supranationalen Rechts charakteristisch ist, lässt sich ebenso guut an der EU wie an den UN illustrieren. (...) Die Rechtssetzung verlagert sich ins Zentrum eines supranationalen Herrschaftszusammenhangs, seine Erzwingung verbleibt an der Peripherie.“ (S. 23)


Calliess, Gralf-Peter (2009): Systemtheorie: Luhmann/Teubner. In: Buckel, Sonja/Christensen, Ralph/Fischer-Lescano, Andreas (Hg.): Neue Theorien des Rechts. 2., neu bearbeitete Auflage. Stuttgart, Lucius & Lucius, 3-26

„Das echt erfüllt für die Gesellschaft die Funktion der Stabilisierung normativer Erwartungen, indem es diese in zeitlicher, sachlicher und sozialer Hinsicht generalisiert. Recht ermöglicht also Erwartungssicherheit.“ (S. 56)

„Das Rechtssystem in einem engeren Sinne besteht daher aus Rechtsakten, wobei Rechtsakt jede Handlung ist, die Rechtsfolgen auslöst und damit die Rechtslage ändert. Rechtsakte sind Verfügungen, die Geltung in dem Sinne transportieren, als sie das, was gilt, inhaltlich festlegen, sei es in abstrakt-generellen Regeln, sei es im individuell-konkreten Einzelakt. Entscheidend ist, dass die Geltungslage als der Zustand des Rechts, von dem dieses bei allen folgenden Operationen ausgehen muss, geändert wird.“ (S. 58, Herv. i. Orig.

„Die Idee struktureller Kopplung ist, dass Einflüsse der Umwelt auf das System beschränkt und dadurch gleichzeitig erleichtert werden. (...) solange es ohne Einschränkung den Pressionen seiner Umwelt ausgesetzt ist, bleibt es korrupt. Solange Wirtschaft, Recht und Politik nicht ausdifferenziert sind, bleibt das Recht wehrlos gegenüber jeder Form politischen Terrors, politischer Korruption und privater Pressionsmacht. Erst wenn diese drei Bereiche sich anhand ihrer Funktion und ihres spezifischen Codes als operativ geschlossene Subsysteme ausdifferenzieren, können diese ihre wechselseitigen Beziehungen selektiv über strukturelle Kopplungen organisieren und so Gewalt, Macht und Korruption als Möglichkeiten der Verknüpfung ausschließen. (S. 61, Herv. i.Orig.; Anm.: Ob Gewalt, Macht und Korruption durch strukturelle Kopplungen wirklich ausgeschlossen werden können, erscheint zumindest fraglich)

„Wir halten fest, dass die Systeme Recfht, Wirtschaft und Politik sich einerseits zu operativ geschlossenen Systemen ausdifferenziert haben und andererseits über Formen von struktureller Kopplung verbunden sind. Dadurch sind Abhängigkeit und Unabhängigkeit der Systeme gleichzeitig in einer Weise gesteigert worden, die den Systemen und der Geselloschaft insgesamt die Ausbildung eines höheren Komplexitätsniveaus ermöglichen.“ (S. 62; Anm.: vgl. die Ähnlichkeit zum gleichermaßen beschränkenden und ermöglichenden Charakter von Strukturen jeder Art)

„Geltungsbrücken ermögliche im Weltrechtssystem den für operative Schließung kennzeichnenden Geltungstransfer zwischen verschiedenen Rechtsordnungen als Teilsystemen.“ (S. 65)

„Ubi societas, ibi ius: wo den transnational organisierten Kommunikationssystemen kein Weltstaat gegenüber steht, lebt der gesellschaftliche Rechtspluralismus wieder auf.“ (S. 67)

Fischer-Lescano, Andreas/Teubner, Gunther (2009): Prozedurale Rechtstheorie: Wiethölter. In: Buckel, Sonja/Christensen, Ralph/Fischer-Lescano, Andreas (Hg.): Neue Theorien des Rechts. 2., neu bearbeitete Auflage. Stuttgart, Lucius & Lucius

„Aus der Dekonstruierbarkeit sämtlicher Institutionen folgt: Kritik ohne Ersatzvorschlag zählt nicht. (...) Denn gesellschaftlicher Problemdruck und Plausibilität sind ihrerseits keine stabilen Größen, sondern sind historisch variabel, so dass es immer nur zeitgemäße, gesellschaftsadäquate, also schwankende Gerechtigkeit geben kann. Und beide sind ihrerseits der öffentlichen Reflexion und dem Streit auusgesetzt, wie es gerade dem provokativen Programm einer politischen Rechtstheorie entspricht. (...) Juristisch ist damit eine Neubewertung der Kasuistikk angesagt. Es gilt der Vorrang der partikularen Fallerfahrung und des Einzelfallgesetzes fvor dem vorschnell generalisierenden Zugriff des allgemeinen Gesetzes. Doch müsste dies von einer entschiedenen Politisierung des Fallrechts begleitet sein, die nicht bloß den individuellen Interessenausgleich im Einzelfallkonflikt anstrebt, sondern sich explizit als Experiment an gesellschaftlichen Institutionen versteht.“ (S. 86-87)

Nour, Soraya (2009): Bourdieus juridisches Feld: Die juridische Dimension der sozialen Emanzuipation. In: Buckel, Sonja/Christensen, Ralph/Fischer-Lescano, Andreas (Hg.): Neue Theorien des Rechts. 2., neu bearbeitete Auflage. Stuttgart, Lucius & Lucius, 179-199

„Anschließend arbeitet er aus, dass die Regel – besonders die Rechtsregel – die Funktion hat, die Krise zu verwalten, wenn die Sozialisation scheitert – das heißt, das Recht ist die Ausnahme des Habitus. (...) Einerseits ist der Habitus performativer als das Gesetz, weil er vager ist. Aber genau dieser Grenzen wegen kann man sich in kritischen Situationen nicht nur auf den Habitus berufen. Je größer das Risiko, desto mehr werden die Praktiken kodifiziert.“ (S. 184)


„Die Universalisierung oder Dehistorisierung wirkt legitimierend.“ (S. 188)

„Bourdieus Frage ist nicht, ob das Recht unabhängig von der Ökonomie ist oder von ihr bestimmt wird, sondern wie das Recht die Ökonomie durchdringt und was es von der Ökonommie absorbiert.“ (S. 190)

„Der Ursprung der Vernunft ist nicht eine menschliche Fähigkeit, sondern die Geschichte der sozialen Felder, wie des juridischen, wo die AgentInnen für das legitimme Monopol des Universellen kämpfen. (...) ‚Indem die Vernunft ihre Historizitäät entdeckt, erwirbt sie die Mittel, sich der Geschichte zu entziehen.’“ (S. 193)


Kronenberger, Matthias (2009): Theorien der radikalen Fragmentierung: Ladeur / Lyotard / Weber. In: Buckel, Sonja/Christensen, Ralph/Fischer-Lescano, Andreas (Hg.): Neue Theorien des Rechts. 2., neu bearbeitete Auflage. Stuttgart, Lucius & Lucius, 229-251

„Diese Berechenbarkeit als Merkmal des formalen Rechts in Kombination mit der Garantie der Vertragsfreiheit war nach Weber die entscheidende Funktionsvoraussetzung für das Entstehen der kapitalistischen Marktwirtschaft.“ (S. 235)

„Lyotard geht davon auus, dass sich diese Sinnfragmente nicht widerspruchslos ineinander übersetzen lassen, sodass sie ihre Legitimitäät gegenseitig relativieren. Ein Satz bekommt mit anderen Worten im Satz-Spiel der Wirtschaft einen völlig anderen Sinn als beispielsweise im Satz-Spiel des Rechts. (...) Wenn es sich im Allgemeinen anders verhält und bestimmte Verkettungen eher erwartet werden als andere, so darum, weil sie durch die Diskursregeln der Institutionen festgelegt werden. Die Soziologie Webers und die Postmoderne treffen sich in diesemm Organisationsbezug.“ (S. 240)

„Der Interpretationsprozess vollzieht sich somit nicht einfach im Bewusstsein des Richters, sondern findet hauptsächlich im sozialen Raum eines diskursiven Verfahrens statt. Sprachwissenschaftlich ausgedrückt: Semantik und Pragmatik sind in einem zirkulären Prozess miteinander verknüpft. Aus dieser Sicht ergibt sich der Sinn des Gesetzestextes erst duch seine streitige Verwendung im Verfahren. Allerdings vermag das Verfahren nicht den Eigensinn der richterlichen Entscheidung zu neutralisieren. Pragmatik bedeutet eben auch, dass der sprachliche Ausdruck der Entscheidung dem Gesetzestext etwas hinzufügt, was in ihm nicht enthalten war. Er verschiebt seine Bedeutung.“ (S. 242)

„Seine bedrohliche Unbestimmtheit erscheint hier als inhumane Deregulierungsmacht und Willkürgefahr. Und dennoch ist genau diese Unbestimmtheit als Ergebnisoffenheit der eigentlich legitimierende Faktor des Rechtsverfahrens, indem sie dazuu motiviert, an ihm teilzunehmen und sich der Verfahrensrolle zu fügen. (...) Die inhaltliche Unbestimmtheit des Rechts und seiner Wissensstrukktur ermöglicht Ladeur zufolge ein flexibles Operieren unter Ungewissheitsbeindungen. Er knüpft dazu an Teubners Konzept des autopoietischen Rechts an, nach dem Systeme füreinander Sinnmaterial zur Verfügung stellen können. Die Berücksichtigung des politischen, wirtschaftlichen und ethischen Wissens im Recht erzeugt aber interne Systemkonflikkte, für die Ladeur ein ‚funktionales Kollisionsrecht’ fordert. Bezugspunkt dieses Rechts kann aber nicht der subjektbezogene Handlungsbegriff sein, sondern nur das Wissen, durch das sich die Gesellschaft aktualisiert und reproduziert. (...) Jede Regelanwendung stellt zugleich eine Regeländerung und damit eine Regelbildungf dar.“ (S. 243-244; Anm.: Regulatory Uncertainty!)

„Der Interventionsstaat verhindere gerade ein flexibles Operieren unter Ungewissheitsbedingungen. (...) Ladeur sieht darin eine Anmaßung des Interventionsstaates, der die Anpassungsfähigkeit des Rechts vermindert und gleichzeitig das Selbstorganisationspotential der Gesellschaft ignoriert. Der ‚Einschätzungsspielraum’ im Hinblick auf Ungewissheiten liege nicht beim Staat, sondern bei der Gesellschaft und ihren Teilsystemen. Aufgrund dessen müsse das Wissen auch dezentral gesammelt und verwendet werden. Deshalb bestehe die Grundrechtsfunktion in der Absicherung des Selbstorganisationspotentials der Gesellschaft und ihrer Ordnungsbildung über Beziehungsnetzwerke.“ (S. 246)


Forgó, Nikolaus/Somek, Alexander (2009): Nachpositivistisches Rechtsdenken. In: Buckel, Sonja/Christensen, Ralph/Fischer-Lescano, Andreas (Hg.): Neue Theorien des Rechts. 2., neu bearbeitete Auflage. Stuttgart, Lucius & Lucius, 253-269

„Keine Rechtsnorm regelt ihre eigene Anwendung.“ (S. 258; vgl. auch Ortmann 2010 mit Verweis auf Wittgenstein)

Tabelle 1: Rechtstheoretische Positionen (S. 261)

„Das Recht kommt in einem Medium (der Rechtsdogmatik) zur Erscheinung, in welchem es, einmal gesetzt, nicht passiv erkannt, sondern erneut produziert wird. Was nachpositivistisches Rechtsdenken also negiert, ist die in der Konjunktion der zweiten Prämmisse stillschweigend vorausgesetzte Unterscheidung von vorgängiger Rechtsetzung und nachträglicher Rechtserkenntnis. Es durchschaut, dass die Unterscheidung von der Rechtsdogmatik bloß dazu herangezogen wird, um mit der Paradoxie fertig werden zu können, dass sie im Grund genommen erzeugt, wovon sie sich abhäängig macht. Von der Ausübung sozialer Autorität lässt sich die Formulierung rechtlichen Wissens daher nicht unterscheiden.“ (S. 262)

„Die wiener Schule erbt vom Rechtspositivismus der Reinen Rechtslehre das starke Ernüchterungsmotiv. Ihre Vertreter heben hervor, dass das rechtliche Wissen sozial in einemm Format existiert, in dem es sich mit positivistischen Floskeln rationalisiert und gleichzeitig der Reflexion seines Geltungsanspruchs verweigert. Der Rechtspositivismus, einst als Verwissenschaftlichung verstanden, degeneriert zum Medium der Reflexionsverweigerung.“ (S. 265)


Christensen, Ralph/Sokolowski, Michael (2009): Neopragmatismus: Brandom. In: Buckel, Sonja/Christensen, Ralph/Fischer-Lescano, Andreas (Hg.): Neue Theorien des Rechts. 2., neu bearbeitete Auflage. Stuttgart, Lucius & Lucius, 285-306

„Die ursprüngliche Aufklärung hat sich an den entstehnden Naturwissenschaften orientiert. (...) Dagegen orientiert sich der Pragmatismus an der Kontingenz. (...) Der Ansatzpunkt bei der Kontingenz lässt die Ordnung aus dem Chaos entstehen als Folge von zufälligen Ereignissen. Weil die darwinistische Anpassung nie endgültig ist, unterstützen die Pragmmatisten einen ontologischen Fallibilismus.“ (S. 286)

„Die Norammitivität begrifflichen Gehalts ist irreduzibel. Sie wird durch den Begriffsgebrauch etabliert.“ (S. 290)

„Brandom (2000, „Expressive Vernunft“) betont, dass ‚unsere Würde als Vernunftwesen [...] gerade darin besteht, dass wir uns nur Regeln unterwerfen, die wir billigen, die wir frei gewählt haben (wie Odysseus angesichts der Sirenen), uns selbst zu binden. Wir haben nicht die Freiheit, uns völlig loszusagen – uns von allen Regeln entbunden zu erklärn hieße, sich von unserer Vernunft völlig zu verabschieden. Doch wenn uns etwas anderes als unsere eigenen Einstellungen und unser eigenes Tun binden könnte, wären wir nicht frei. Autonomie, gemäß der ursprünglichen Bedeutung des Wortes, besteht im Aufstellen von Gesetzen für uns selbst.’ Wie aber kann man sich aber an Normen orientieren, die immer erst praktisch eingesetzt werden? (...) Wir unterstellen Normativität als Form und streiten über ihren konkreten Inhalt. (...) Zunächst wird der Normtext als Quelle dadurch eingeführt, dass alle Prozessbeteiligten sich auf diesen Text beziehen. Jede Partei bestreitet aber die Richtigkeit dieses Bezugs bei der anderen Partei. Damit ist jede der beiden vorgeschlagenen Lesarten in ihrer Transparenz durch die andere Lesart gestört.“ (S. 296)

„Damit scheint es aber, als wäre die Tradition nur ein Vorwand für eine uneingeschränkte Souveränität, die der Richter über Normativität ausübt. Eine Befürchtung, die gemeinhin als Vorwurf des Dezisionismus formuliert wird. Dies ist aber nur zutreffend, wenn man den Prozess an der Stelle seiner Gegenwart abbricht und so auf diese verkürzt. (...) Aber für die Übernahme, bzw. Zurückweisung einer normativen Bedeutung gibt es Maßstäbe, die sich über den Bezug zur Zukunft erschließen. Das heißt, der lange Arm der Geschichte greift durch die richterliche Entscheidung hindurch über sie hinaus. (...) Die Autorität der Vergangenheit über die Gegenwart wird in ihrem Name von der Zukunft wahrgenommen.“ (S. 298f.)

„Wörtliche Bedeutung steht am ende der Interpretation. Erst nachdem man viele Lesarten geprüft hat, kann man eine auszeichnen. Diese Auszeichnung wird von der Praxis vorgenommen und nicht von der Sprache, ganz so, wie Brandomms Modell zeigt. Bedeutung wird von Kontexten und Subjekten geliefert und muss entschieden werden.“ (S. 301)


Hanschmann, Felix (2009): Theorie transnationaler Rechtsprozesse. In: Buckel, Sonja/Christensen, Ralph/Fischer-Lescano, Andreas (Hg.): Neue Theorien des Rechts. 2., neu bearbeitete Auflage. Stuttgart, Lucius & Lucius,

„Mehr oder weniger stabilisierte und auf Dauer gestellte Interaktionen beschäftigen sich demnach nicht nur mit der Interpretation und Anwendung von Normen in konkreten Fällen. Der hinterlistige Effekt, der erzueugt wird, wenn sich wie immer auch anfangs motivierte Akteuure auf solche Interaktionen einlassen, besteht darin, dass in ihnen bestimmte Verhaltensweisen und Erwartungen ausgebildet werden, die wiederum zu Rechtsnormen ‚kondensieren’ können.“ (S. 386)

„Würden sich einzelne Akteure für die bewusste Normverletzung oder zur Missachtung entsprechender Normen entscheiden, gefährde dies, so die Behauptung der TRP, ihre Partizipationsmöglichkeiten in fortlaufenden und zukünftigen Interaktionen und mindere damit ihre Chancen, auf Normentstehungs- und Anwendungsprozesse in der Weltgesellschaft Einfluss nehmen zu können. Zudem gelte dies aufgrund der Kopplungen und Interdependenzen zwischen spezifischen Rechtskommunikationen nicht nur für denjenigen Bereich, in demm die konkrete Normverletzung erfolgt.“ (S. 389)

„Denn zum einen sind Interessen aus der Perspektive des TRP nicht unabhängig von einem sozialen Kontext denkbar, in dem sie überhaupt erst konkretisiert und formuliert werden, und zum anderen sehen Vertreter der TRP in Rechtskommunikationen eingebundene Individual- oder Kollektivakteure nicht als monolithische Einheiten mit einem fest definierten und starren Ensemble von Interessen.“ (S. 391)

„Im Ergebnis wird es der TRP, die ihrem eigenen Anspruch nach mehr sein will als ein ‚fancy dress for the status quo’, wohl kaum gelingen, ihr normatives Defizit dadurch zu beseitigen, dass sie auf eine diffuse Wertgrundlage abstellt.“ (S. 395)

„Um ihren von ihr selbst postulierten normativen Anspruch einzulösen, müsste sich die TRP stärker auf die Analyse jener zivilgesellschaftlichen Skandalisierungsprozesse und deren Wirkungen im Rechtssystem konzentrieren. (...) Allerdings stieße man bei einer solchen Analyse der Skandalisierungsprozesse notwendigerweise, die haben Thomas Franck und Michael Reisman zu recht eingewendet, auf interne Restriktionen der Massenmedien, die es zweifelhaft erscheien lassen, inwieweit Letztere in der Lage sind, die in sie gesetzten Hoffnungen zu erfüllen. (...) Demgegenüber weisen Theorieangebote, die das Völerrecht stark mit Öffentlichkeitsbegriffen koppeln, nicht selten, sei es explizit oder implizit ein naives Öffentlichkeitsverständnis auf, das nicht einmal dem Vergleich mit den Bedingungen von Öffentlichkeiten in den Nationalstaaten stand hält.“ (S. 396f.)

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