Kapitel 7: Das Gesamtbild der Volkswirtschaft.
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Kapitel 7: Das Gesamtbild der Volkswirtschaft.
„Der erste Schritt zu einer Analyse des gesamten Prozesses des Wirtschaftslebens wird durch die statische Theorie getan. […] Änderungen in dem Gleichgewichtszustande der Volkswirtschaft können nur von den Daten ausgehen und nur auf von außen kommende ‚Störungsursachen’ zurückgeführt werden. […] Eine Theorie der Datenänderungen selbst wird nicht gegeben. Stets lautet die Fragestellung: wenn diese oder jene Störung eintritt, welche Folgen ergeben sich dann aus der Reaktion der Wirtschaft auf sie? […] Nicht die Konstanz der Daten macht in letzter Linie das Wesen der Statik aus, sondern die Art des Wirtschaftsprozesses, den sie schildert.“ (S. 464-465)
„Lautete also das erste Problem der Ökonomie: Wie ergibt sich ein bestimmtest Niveau der Wirtschaft eines Volkes aus dessen gesamten Lebensverhältnissen? – so lautet dann ein zweites: Wie vollzieht eine Volkswirtschat den Übergang von einem Niveau – das doch als Ziel- und Ruhepunkt gegolten hat – zu einem andern? Das ist die Frage nach dem Wesen der wirtschaftlichen Entwicklung.“ (S. 465-466)
„Es empfiehlt sich vielleicht auch, ausdrücklich hervorzuheben, daß hier keinerlei Anlehnung an irgendeinen andern Inhalt des so modernen Ausdrucks ‚Entwicklung’ beabsichtigt ist und daß irgendwelche evolutionistische Analogien oder Theoreme hier weder gesucht wurden noch sich von selbst ergeben haben. […] Und sehr hüten wir uns davor, statt von ‚Entwicklung’ von einem allgemeinen ‚Fortschritt’ zu sprechen[.]“ (S. 466)
„Wir sehen zunächst eine allgemeine Ursache dafür, daß, wie wir es ausdrückten, neue Kombinationen durchgesetzt werden. Wir sahen, daß diese Durchsetzung neuer Kombinationen auf das Handeln eines besondern Typus von Wirtschaftssubjekten zurückzuführen ist, den wir ‚Unternehmer’ nannten...“ (S. 469)
„Unser wichtigstes Resultat ist, daß es eine solche wirtschaftliche Entwicklung wirklich gibt. Das heißt, daß sich das Bild jeder Volkswirtschaft auch dann verändern würde […] wenn sich in der Welt des Nichtwirtschaftlichen nichts änderte.“ (S. 469)
So gibt uns die reine Ökonomie formale Gesetze über die Gestaltung der Wirtschaft unter dem Einflusse von von außen gegeben Bedingungen und die Reaktionen der Wirtschaft auf von außen kommende Veränderungen dieser Bedingungen; und so schließt auch die reine Ökonomie nach dieser Auffassung eine ‚Entwicklung der Wirtschaft von innen’ geradezu begrifflich aus. Diese Auffassung wird nur selten ausdrücklich formuliert. Aber sie liegt sehr oft gerade dem Schweigen der Theoretiker über das Phänomen der Entwicklung zugrunde und entspricht dem Standpunkte vieler der Besten auf dem Gebiete der Theorie. Wir leugnen ihre Berechtigung nicht völlig. Diese Betrachtungsweise ist vielmehr das Grundprinzip der statischen Ökonomie. […] Jene statischen Gesetze sind die Grundlage wissenschaftlichen Verständnisses der Wirtschaft. […] Als Abstraktion ist also diese Auffassung berechtigt, ja unentbehrlich. Sehr viele wirtschaftliche Vorgänge sind tatsächlich Anpassungserscheinungen. Nur als Erklärung der tatsächlichen Entwicklung der Wirtschaft ist sie unzureichend. Es ist ja sehr verlockend die Tatsache, daß die Volkswirtschaft nach immer andern Gleichgewichtszuständen gravitiert, eben dadurch zu erklären, daß ihre Daten andre geworden sind. Für den, der nichts andres als die statischen Vorgänge sieht, ist dies Auffassung überhaupt selbstverständlich – diese Vorgänge sind essentiell immer dieselben, muß da nicht die Verschiedenheit des Resultats an den Daten liegen? An Verifikation kann es auch nie fehlen: Um konkrete Datenänderungen, auf die man ohne augenfällige Absurdität hinweisen kann, dürfte man nie verlegen sein. Es kommt noch hinzu, daß diese Auffassung sich als tief und umfassend außerordentlich günstig präsentiert, so günstig, daß man eher in ihrer Ausarbeitung als in ihrer Ablehnung die wahre Aufgabe erblicken könnte. Und doch ist sie leer und nichtssagend, soweit sie richtig ist, und falsch, soweit sie etwas sagt.“ (S. 471; Herv. L.D.)
„Auch da ist es richtig, daß alle natürlichen und sozialen Faktoren die Wirtschaft gestalten, daß sie ein Teil des Lebens eines Volkes ist. Aber das ist selbstverständlich. Das nähere ‚Wie’ dieser Beziehung ist das Interessante und dabei scheitert diese [die statische, Anm.] Auffassung. Denn sie hebt entweder hervor, daß die Wirtschaft von allen diesen Faktoren abhängt. Das ist richtig, aber das, was auf dem Gebiete der Wirtschaft geschiet, wirkt lebendig und gestaltend wieder auf jene Faktoren. Dann bleiben wir, wo wir waren, denn das wissen wir. Dann liegt eine Wechselwirkung vor, keine Kausalkette. Oder sie behauptet, daß die Wirtschaft nichts sei als Resultat, daß ihre Rolle lediglich passiv sei, daß sie nur geschoben werde und nicht auch schiebe, daß nur die übrigen Momente aktiv und alle wirtschaftlichen Vorgänge lediglich als deren Abklatsch zu verstehen seien. Das wäre der sozialphilosophische Aspekt der Statik, es wäre die Statik zur Wirtschaftsphilosophie ausgestaltet. Aber das ist falsch und würde von niemand gehalten werden. […] Natürlich heißt das nicht, daß ich das Moment der Milieuänderungen oder seinen Einfluß auf die Wirtschaft leugne. […] Es sind zwei Fälle zu unterscheiden: Entweder paßt sich die Volkswirtschaft den stets eintretenden Milieuverändergunen tatsächlich rein passiv an. Dann liegt eine statische Erscheinung vor, die wir mit den Mitteln der Statik voll verstehen können. Nur unterscheiden wir sie von dem, was für uns wirtschaftliche Entwicklung […] ist. Diese ist etwas andres, beruht auf einem andern Prinzip, und sich darüber klar zu sein, hat, wie man leicht einsieht, auch dann gesunden Sinn, wenn in der Wirklichkeit stets beide Momente gleichzeitig auftreten uns zusammengehen.“ (S. 472-473; Anm.: vgl. die beeindruckenden, an die Strukturationstheorie erinnernden Formulierungen hinsichtlich der „Wechselwirkung“)
„Noch auf eine andre Erklärung der Entwicklung kann jeder hinweisen, der das herrschende Lehrsystem der Theorie vertritt. Sie ist die Erklärung der Klassiker, sie ist bis auf unsre Zeit herrschend gebilieben […] In einem Sinne ist sie, kurz gesagt, eine Erklärung der Entwicklung durch eine Theorie der ökonomischen Milieuelemente, durch die Auffassung, daß das statische Handeln selbst die Daten der Wirtschaft ändre- Es sind fünf Milieuelemente, die da in Betracht kommen: Bevölkerungsvermehrung, Zunahme des – irgendwie definierten – Kapitals, Fortschritt der Produktionsmethoden, Fortschritt in der ökonomischen Organisation der industriellen Gesellschaft und Entwicklung der Bedürfnisse. Danach geht die wirtschaftliche Entwicklung unter dem Impulse dieser Momente gleichsam automatisch und nach den Regeln der Statik vor sich. […] In einem etwas andern Sinne können wir diese Auffassung als die Theorie vom organischen Wachstum der Volkswirtschaft betrachen. Dann gäbe es überhaupt keinen stationären Gleichgewichtszustand, sondern nur eine stete Bewegung im Gleichgewichte.“ (S. 474; Anm.: Vorweggenommene Kritik am Solow-Modell und allen dessen Nachfolgern!)
„Es kann die Bevölkerungsvermehrung ein Anstoß zu einer Neugestaltung der Wirtschaft werden […] [a]ber sodann ist es klar, daß es zu andern Wirkungen nur kommen kann, wenn die Wirtschaft sich nicht bloß passiv an die Bevölkerungsvermehrung adaptiert, wenn sie also nicht bloß statisch sich verhält, sondern aktiv reagiert. […] Der Unternehmer mag finden, daß ihm gewisse Dinge nunmehr durch das Sinken des Lohnes erleichtert sind und er mag dementsprechend zu Neugestaltungen vorgehen. Tut er es nicht, gibt es eine solche schöpferische Tätigkeit nicht, dann tritt in der Tat nichts andres ein als jener dumpfe Druck in der gesamten Volkswirtschaft.“ (S. 477)
„Schon Marx hat den lapidaren Satz geprägt: ‚Der Kapitalismus hat Bevölkerungen aus dem Boden gestampft.’ […] So ist es sicher bis zu einem gewissen Grade, und insoweit es so ist, ist die Bevölkerungszunahme Konsequenz und nicht Ursache der Entwicklung, wenigstens im Prinzipe. Sie kann dann zum Anstoße weitrer Entwicklung werden““ (S. 478; Herv. i. Orig.)
„In gleicher Weise haben wir gesehen, daß Erfindungen<ref name="ftn3">Praktische Fortschritte in den Produktionsmethoden, d.h. Fortschritte, die direkt durch den Unternehmer – ohne neue wissenschaftliche Erkenntnis – verwirklicht werden, sind nichts andres als eine der verschiedenen Arten von neuen Kombinationen. Sie sind nicht ‚Ursachen’, sondern äußere Form der Entwicklung.</ref>, soweit sie für die Wirtschaft von praktischer Bedeutung sind, die wirtschaftliche Entwicklung nicht hervorrufen, sondern eher ihre Folge sind. […] Nicht die Erfindungen haben den Kapitalismus, sondern der Kapitalismus hat sich die nötigen Erfindungen geschaffen. Der gegenteilige Anschein ergibt sich lediglich daraus, daß wir nur von einer entwicklungsvollen Volkswirtschaft wissen, und hier geht die Sache so schnell und prompt vor sich, daß wir Grund und Folge nicht immer scheiden können.“ (S. 479; Fußnote i. Orig.; Herv. L.D.)
„Ohne Leute, die zur Führerrolle taugen, wären solche Erfindungen tot. Das wird tausendfältig bestätigt durch die Leidensgeschichte der Erfinder auf primitiver Kulturstufe. – Hierher gehört endlich auch noch der Fortschritt in der technischen und kommerziellen Organisation der Wirtschaft.“ (S. 480)
„Alle solchen Datenänderungen erzeugen in der Volkswirtschaft entweder statische Anpassungsbewegungen oder sie werden zum fördernden Anlaß für konkrete neue Kombinationen. […] Im zweiten Fall wirken sie nicht von selbst, sondern nur in der Hand des Unternehmers. In keinem Falle erklärt sich die wirtschaftliche Entwicklung durch sie. Es gäbe vielmehr auch wirtschaftliche Entwicklung bei konstanten Daten. Aber es gäbe nicht die Entwicklung, die uns die Wirklichkeit zeigt ohne die Tatsachen, auf denen unsre Theorie ruht. Auf Schritt und Tritt stößt man auf das Tun und auf die Initiative des Typus, den wir ‚Unternehmer’ genannt habe, und auf das Räderwerk unsres Mechanismus. (S. 486-487)
„Es wächst die Wirtschaft nicht von selbst in höhere Formen herein. Nicht wie bildsamer ton wird sie von ihren Daten geknetet. […] Die bloße Datenänderung bedeutet wenig. […] So haben Goldentdeckungen an sich den Entdeckern wenig geholfen. So schafft und vernichtet eine Änderung im Kurse der Volkswirtschaft nur selten eine Industrie<ref name="ftn4">Es ist allerdings nichts gewöhnlicher, als solche Ereignisse schlechthin als ‚Ursachen’ zu betrachten. So wird die Einführung des Freihandels in England – beachte man die naheliegende Verifikation – oder des Schutzzollsystems der Vereinigten Staaten oft als Ursache der tatsächlichen Entwicklung gepriesen. Im politischen Argumente beruht das auf sehr klaren Motiven. Dem wissenschaftlichen Beobachter der Dinge gegnüber ist aber darauf hinzuweisen, daß solche Ereignisse leicht überschätzt werden.</ref>. (S. 487; Herv. u. Fußnote i. Orig.)
„Es folgt aus der ganzen Anlage unsres Gedankengangs, daß es kein dynamisches Gleichgewicht gibt. Die Entwicklung ist ihrem innersten Wesen nach eine Störung des bestehenden statischen Gleichgewichts ohne jede Tendenz diesem oder überhaupt irgendeinem andern Gleichgewichtszustande wieder zuzustreben. Sie ändert die Daten der statischen Wirtschaft und zwar nicht durch organische Umbildung, sondern gerade durch Neugestaltung und sozusagen unorganisch. Sie strebt aus dem Gleichgewichte heraus. […] Tritt dann auch wieder ein Gleichgewichtszustand ein, so geschieht das nicht durch die Triebfedern der Entwicklung selbst, sondern eben durch eine Reaktion gegen dieselbe, durch andre Kräfte, welche ihr gerade das Ende bereiten und eben dadurch die erste Voraussetzung für die Herstellung eines Gleichgewichts schaffen. Das erste dagegen, was eintritt, wenn es wieder zu einer Entwicklung kommt, ist die neuerliche Störung des Gleichgewichts der Volkswirtschaft. Entwicklung und Gleichgewicht, beides in unserm Sinne genommen, sind also Gegensätze, die einander ausschließen. Es wird nicht die statische Wirtschaft durch ein statisches und die dynamische Wirtschaft durch ein dynamisches Gleichgewicht charakterisiert, sondern es gibt überhaupt nur in der erstern ein Gleichgewicht. Das Gleichgewicht der Wirtschaft ist essentiell ein statisches.“ (S. 489; Herv. L.D.)
„Die wirtschaftliche Entwicklung ist keine organische Einheit in ihrer Gänze, sondern sie besteht aus aneinander anschließenden, aber relativ selbständigen Teilentwicklungen.“ (S. 490)
„Wir haben auch im sechsten Kapitel gesehen, daß es dem wirtschaftenden Menschen im allgemeinen durchaus unmöglich ist, Pläne über die einzelne Teilentwicklung hinaus zu entwerfen, daß vielmehr alle effektiven Unternehmungen sich mit der Entwicklungsphase, der sie angehören, erschöpfen.“ (S. 491; Anm.: Bounded Rationality!)
„Ob die Entwicklung zu sozialem Wohlbefinden oder zu sozialem Elend, zur Entfaltung oder zur Verkümmerung des nationalen Lebens führt, das entscheidet ihr konkreter Inhalt, das was konkret in jenen Formen vor sich geht, die wir schildern.“ (S. 492)
„Es kommt noch hinzu, daß die Entwicklung in Wirklichkeit mindestens zunächst nur in lokal sehr begrenzten Gebieten einsetzt und Lohn-, namentlich aber Rentensteigerungen nur einer Minorität von Arbeitern und Grundherren zugute kommen. […] So zeigen sich denn in solchen Gebieten bald die Symptome eines allgemeinen Aufschwungs.“ (S. 497)
„Weiters ist nicht so sehr der ‚Reichtum’ – Gütervorrat – einer Volkswirtschaft als der Grad der Unternehmertätigkeit entscheidend.“ (S. 498; Anm.: Vgl. die Situation in den arabischen Öl-Staaten)
„So geht ein Prozeß der Verkümmerung, der Deklassierung weiter Kreise mit der Aufwärtsbewegung Hand in Hand. […] Weiten Kreisen wird durch die Entwicklung der Boden weggezogen, auf dem sie stehen. Nicht plötzlich freilich, sondern langsam. […] Ja selbst die Leiden, die sie zeugen, haben ihre Funktion in der schnellern Beseitigung des Veralteten, im Antriebe zum Handeln. Aber die das Drama selbst spielen und auch die ihnen nahestehenden Beobachter denken anders darüber.“ (S. 503; Vgl. Maschinenstürmer, Modernisierungsverlierer!)
„Daraus folgt unmittelbar, daß sich das Phänomen der Arbeitslosigkeit mit den Mitteln der reinen Theorie, d.h. also aus dem Wesen des wirtschaftlichen Mechanismus, nicht restlos erklärt. […] Allein wenn infolge von Einführung immer neuer Maschinen immer neue Arbeiter entlassen würden, so wäre immer ein Anzahl beschäftigungsloser Arbeiter in der Volkswirtschaft vorhanden, und zwar eine mit der Entwicklung immer steigende Anzahl. Nun hat aber die Entwicklung keine solche Tendenz, Arbeitsleistungen überflüssig zu machen, sie hat im Gegenteil die Tendenz, immer mehr Nachfrage nach ihnen zu schaffen. Nur temporäre Arbeitslosigkeit von geringem Umfange und höchstens lokaler Bedeutung ergäbe sich eventuell. […] Daher können wir nur vorübergehende Arbeitslosigkeit erklären. und zwar hauptsächlich als Friktionserscheinung – andre aber nicht. Dieses Resultat ist nicht ausreichend, aber es ist nicht wertlos. Es erklärt zweifellos ein gutes Stück des Phänomens der Arbeitslosigkeit, m.E. dessen größere Hälfte. Aber auch seine negative Bedeutung ist beachtenswert. Daraus nämlich, daß sich die Arbeitslosigkeit aus der Theorie nicht völlig erklärt, kann man schließen, daß sie, insoweit sie das nicht tut, auf andern Ursachen als den im Wesen des Wirtschaftsprozesses gelegenen beruht.“ (S. 510; Anm.: stimmt nicht für den Fall der Deflation; stimmt teilweise für den Fall der Langzeitarbeitslosigkeit)
„Wenn man erkannt hat, daß im tiefsten Innern die heutige systematische Theorie auf statischen Pfeilern ruht, und dann sieht, wie sie von diesem Standpunkte aus Dinge zu erklären sucht, nach denen aus dieser Position kein Weg führt, […] so sieht man auch, daß die Dynamik manches niederzureißen und manches zu korrigieren hat. Doch sind das nur Vorwerke, Zubauten. Der Kern der statischen Theorie soll nicht durch die von der Entwicklung beherrschte Auffassung ersetzt werden. Nur als Gesamtanalyse des wirtschaftlichen Geschehens überhaupt und als Sozialphilosophie ist die Statik unbrauchbar. […] Die Statik ist nicht nur überhaupt ein abstraktes Gebilde, sondern sie abstrahiert auch von wesentlichen Tatsachen der Entwicklung. Das gibt ihren Resultaten die schöne Allgemeingültigkeit, das befähigt sie namentlich, die ökonomischen Vorgänge ohne Rücksicht auf konkrete Organisationsformen zu beschreiben. Namentlich wird sie dadurch zu einer Maschine zur Lösung einer bestimmten Klasse von Problemen, nämlich jener, die sich im weitesten Sinn um das Preisphänomen gruppieren lassen.“ (S. 511)
„[Fußnote, Anm.] Man könnte sagen: Soweit die Statik nichts ist als eine Logik des Wirtschaftens, gilt sie allgemein. Soweit sie eine Psychologie des Wirtschaftens gibt, versagt sie in einem sehr wesentlichen Fall. Da gilt sie nicht allgemein.“ (S. 512)
„Endlich aber ist die Statik das getreue Ebenbild eines bestimmten Typus von Wirtschaftssubjekten. […] Solche gibt es immer und überall. Sie bilden sogar weitaus die große Mehrheit.“ (S. 513)
„Wir erkennen also, daß sich das wirtschaftliche Leben eines Volkes aus zwei verschiedenen Arten von Vorgängen zusammensetzt, die nicht nur theoretisch, sondern auch in der Wirklichkeit unterscheidbar und gleich real sind. Sie greifen ineinander über und wirken aufeinander, zweifellos. Aber sie verschwimmen nie, nicht etwa nur begrifflich, sondern vor allem auch gegenständlich nicht.“ (S. 513)
„Der statische Kreislauf und die statischen Anpassungserscheinungen sind von einer Logik der Dinge beherrscht, die für das Problem der Willensfreiheit zwar ganz irrelevant ist, aber praktisch – bei fest gegebenen sozialen Verhältnissen – so gut wie keinen Spielraum für individuelle Willkür läßt.“ (S. 514; Anm.: Eben kein Platz für den Akteur, keine Kontingenz, der Mensch als Nutzenmaximierender Roboter, als homo oeconomicus >> Dynamik aber nur durch Akteure möglich, die aber nicht unbedingt Unternehmer sein können, sondern auch auf der Nachfrageseite stehen können)
„deshalb, weil die Industrie keine dauernde Ertragsquelle darstellt, ist auch eine Sozialisierung derselben schon begrifflich eine ganz andre Sache als etwa eine Sozialisierung von Grund und Boden.“ (S. 530)
„Kein ungeheuerliches Paradoxon liegt in unsrer Behauptung. Sie wird verifiziert durch die Tatsache, daß Kriege und andre Katastrophen überall dort, wo sie nicht die Folge haben, daß die wirtschaftliche Organisation zusammenbricht, keine dauernden Spuren zurücklassen, daß da vielmehr alle Konsequenzen solcher Verwüstung wirklich überraschend schnell verschwinden.“ (S. 530)
„Wie wenig die soziale Parteistellung durch ökonomische Momente restlos zu erklären ist, zeigt nichts deutlicher als das Verhältnis zwischen Unternehmern und Arbeitern. Nirgends wird in der sozialen Welt ein heftigerer Kampf geführt. Und doch sahen wir, daß der ökonomische Interessensgegensatz zwischen beiden keineswegs so sehr scharf ist. ER besteht. Aber ist nur von der Natur des Interessengegensatzes zwischen zwei Tauschenden. Und die reale Interessengemeinschaft ist daneben nicht zu übersehen. Beide sind typische Feinde der gegebene Besitzverhältnisse an den vorhandenen Gütern. Beide gewinnen und verlieren in sehr vielen Fällen gemeinsam. Die Unternehmer sind die besten Kunden der Arbeiter. Von ihnen geht eine stete Verbesserung der Lage der Arbeiter aus. […] Soweit ein Interessengegensatz besteht, ist er nicht größer als der Interessengegensatz zwischen Unternehmer und Kapitalisten: Nicht weniger als an niedrigem Lohne ist der Unternehmer an niedrigem Zinse interessiert. […} Aber wir können unmittelbar sehen, woher die Schärfe des Gegensatzes zwischen Unternehmern und Arbeitern kommt. Sie kommt aus dem Verhältnis der Über- und Unterordnung, aus den täglichen Reibungen, die dasselbe mit sich bringt. Die Arbeiterbewegung richtet sich viel weniger gegen die wirtschaftliche Funktion des Unternehmers als gegen den absoluten Monarchen des Betriebs, der dem einzelnen Arbeiter nach Gefallen übel mitspielen konnte und ihm eine Teil seiner persönlichen Freiheit entzog. Aus ähnlichen Quellen fließt auch die moralische Atmosphäre der kapitalistischen Wirtschaft.“ (S. 533-534; Herv. L.D.)
„Wir alle treten stets mit überlieferten, festgeformten Maßstäben an das Neue heran, mit Maßstäben, die vergangene Verhältnisse geschaffen haben. Besonders bei sozialen Erscheinungen. Uns selbst unbewußt sitzt die Vergangenheit stets über die Gegenwart zu gericht.“ (S. 535; Herv. L.D.; vgl. Kuhn)
„Auch in der Art, wie das Neue durchgesetzt wird, tritt unsre Analogie hervor. Der bloße Gedanke allein genügt nicht und setzt sich nie ‚von selbst’ durch, d.h. in der Weise, daß er von den Beteiligten ohneweiters ernstlich erwogen und durch freien Entschluß akzeptiert wird. In drastischer Weise zeigt das die Geschichte der Wissenschaft. Der Vorgang ist vielmehr in der Regel der, daß der neue Gedanke von einer kraftvollen Persönlichkeit aufgegriffen wund durch ihren Einfluß durchgesetzt wird. Diese Persönlichkeit braucht nicht der Schöpfer des Gedankens zu sein, ebensowenig wie der Unternehmer z.B. die neue Produktionsmethode, die er einführt, selbst erfunden haben muß.“ (S. 543; Anm.: vgl. Kuhn und insbesondere Feyerabends Gallilei-Beispiel)
„So gut wie nie würde ein neuer Gedanke ohne die Tätigkeit eines Führers als eine Realität empfunden werden, mit der man rechnen, die man anerkennen, der man sich anpassen muss.“ (S. 544; Anm.: Führer iSv Akteur!)