Kapitel 6: Das Wesen der Wirtschaftskrisen.

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Kapitel 6: Das Wesen der Wirtschaftskrisen.

„Die Paniken, die wir so oft beobachten, sind, viel mehr als Ursachen, die Folge des Ausbruchs von Krisen. Das letztere gilt auch von Schlagworten wie ‚Spekulationsfieber’, ‚Überproduktion’ usw. Ist die Krise ausgebrochen, hat sich die gesamte Lage der Wirtschaft verändert, so kann dann manche Spekulation als sinnlos und fast jede produzierte Gütermenge als zu groß erscheinen, obgleich beide der Sachlage vor dem Ausbruche der Krise völlig entsprachen. Jede Störung der Entwicklung muß wirtschaftlichen Maßregeln desavouieren, und deshalb läge in diesen Momenten selbst dann kein weitergehendes Merkmal der Krisen, wenn dieselbe strikte allgemein wären.“ (S. 419; Herv. i. Orig.)

„In der Tat, es ließe sich sehr gut die Ansicht denken, daß Krisen stets durch äußere Umstände bewirkt werden, die es mit sich bringen, daß die Bedingungen, mit denen die Unternehmer rechneten, nicht länger standhalten. Viele Nationalökonomen sind wirklich dieser Ansicht. Und dieselbe ist unzweifelhaft sehr plausibel. Ist sie richtig, dann gibt es keine eigentliche ökonomische Krisentheorie, dann können wir nichts andres tun als eben diese Tatsache feststellen oder höchstens noch versuchen, jene äußern Veranlassungen der Krisen anzugeben“ (S. 421)

„Jede ‚Durchsetzung neuer Kombinationen’, um unsern alten Ausdruck zu gebrauchen, ist der Gefahr ausgesetzt, in der Praxis Schiffbruch zu erleiden. So erklären sich tatsächlich viele partielle und mitunter auch allgemeine Krisen. Zunächst droht jene Gefahr dem einzelnen Unternehmer und oft unterliegt er ihr. Daß ein ganzer Produktionszweig fehlgreift, kommt naturgemäß viel seltener vor. Doch kommt es vor, und wenn die betreffenden Unternehmungen von hinreichender Bedeutung für die Volkswirtschaft sind, so wird sich eine allgemeine Störung daraus ergeben.“ (S. 423; Herv. i. Orig.)

„Die Krisen sind Wendepunkte der wirtschaftlichen Entwicklung. Und nur soweit sie es sind, wollen wir uns mit ihnen beschäftigen. Auf diese Fälle wollen wir auch den Ausdruck Krisen beschränken, alle andern sollen uns prinzipiell uninteressante Unglücksfälle sein.“ (S. 425)

„Die wirtschaftliche Gesamtentwicklung einer Unternehmung zerfällt also in prinzipiell selbständige Teilentwicklungen, die durch statische Zustände voneinander getrennt sind. Erscheint die Gesamtentwicklung im einzelnen Falle dann trotzdem als etwas Einheitliches –läßt sie sich durch eine Kurve versinnlichen – so ist das nur ein empirisches Ereignis, das vom Standpunkte der Theorie eintreten oder auch nicht eintreten kann.“ (S. 429; Herv. i. Orig.)

Wenn einer vorangeht und Erfolg hat, so zieht er immer andre mit. Sodann begegnen die Spätern nicht mehr dem Widerstande, den der erste fand. Man betrachtet sie nicht mehr als freche Neuerer, man gewöhnt sich an den Vorgang und sieht in ihm bald nichts Befremdliches mehr. Hundert und tausend psychologische, soziale, wirtschaftliche, rechtliche und politische Hemmungen fallen weg. Viel weniger Fähigkeit und Intelligenz gehört nun dazu, das zu tun, was beim erstenmal eine große Tat war. Mußte der Erste gegen einen Strom schwimmen, so werden die Folgenden fast von selbst in eine Strömung hineingezogen.“ (S. 431; Herv. L.D.)

„Es begreift sich also vor allem, daß einem erfolgreichen Anfange eine allgemeine Unternehmertätigkeit in der Volkswirtschaft folgt und daß die einzelnen ‚Durchsetzungen neuer Kombinationen’ nicht gleichmäßig in der Zeit verteilt sein, sondern erst vereinzelt und dann plötzlich gehäuft vorkommen werden, daß die Aufwärtsbewegung von vielen Unternehmern gemeinsam getragen werden und ihre Tätigkeit gleichsam parallel und korporativ erfolgen wird. […] eine solche Aufwärtsbewegung […] nicht gleichmäßig in allen Industriezweigen, sondern vornehmlich in jenem folgt, wo der erste Erfolg erzielt wurde, der stärkste Mann führt oder der größte Gewinn winkt.“ (S. 432)

„[Fußote, Anm.] Erfolgt eine jede wirtschaftliche Maßregel nur ‚anpassend’, erfolgt also jedes Angebot nur auf vorhandene Nachfrage hin, so ist nicht einzusehen, wie es zu wirklich großen Störungen kommen sollte. Das ist überhaupt das große Gegenargument gegen die meisten Krisentheorien: Sie machen nicht verständlich, wieso es zu großen Störungen – abgsehen von Störungen infolge ‚äußerer Eingriffe’ – kommen kann.“ (S. 432)

„Wir kommen also zu der Erkenntnis, daß die volkswirtschaftliche Entwicklung in unserm Sinne nicht einfach aus unabhängigen Einzelentwicklungen von Unternehmungen besteht, was zu der wahrscheinlichen Annahme führen würde, daß die letzern in der Zeit gleichmäßig verteilt wären und, relative Kleinheit jeder ‚Gründung’ vorausgesetzt, zu der weitern wahrscheinlichkeitstheoretisch begründeten Annahme, daß die Gesamtentwicklung der Volkswirtschaft das bild stetigen Wachstums biete. Sondern wir sehen, daß die Einzelentwicklungen in Sympathie miteinander erfolgen in der Weise, daß eine derselben viele andre hervorruft. […] Alle Unternehmungen, deren Gründung sich also in einer Zeitperiode häuft und die industrielle Entwicklung einer Epoche ausmacht, zielen unter sehr wesentlich ähnlichen und in Zusammenhang stehenden Bedingungen entweder geradezu auf denselben oder doch auf einen in wichtigen Beziehungen ähnlichen Erfolg ab.“ (S. 433, Herv. i. Orig.; Anm.: Selbstverärkungsmechanismen!)

„Die wirtschaftliche Entwicklung in unserm Sinne gleicht nicht ohneweiters organischem Wachstume.“ (S. 434-435)

„Es kann vorkommen, daß die aus der statischen Ruhe aufgescheuchten Wirtschaftssubjekte ihr Schicksal in die Hand nehmen und sich ebenfalls zu energischem Handeln, zu neuen Bahnen aufraffen. Sowohl Gewinn wie Verlust kann das bewirken, wenn sie nur von genügender Größe sind. […] Sonst aber gibt es nur eine mögliche Art von Reaktionen auf die neue Sachlage. Es ist die dem Wesen statisch disponierter Wirtschaftssubjekte angemessene, nämlich die passive Anpassung an die neuen Verhältnisse. […] Da sehen wir denn: Alle die so vielgestaltigen Wirkungen der industriellen Entwicklung auf die statischen Glieder der Volkswirtschaft lassen sich unter einem Gesichtspunkte zusammenfassen, für den es einen wohlbekannten Ausdruck gibt: als Störungen des statischen Gleichgewichts.“ (S. 438-439; Herv. i. Orig.)

„Weil es also erstens unmöglich ist, alle Gegenwirkungen die das Handeln des Unternehmers hervorruft, exakt einzuschätzen; weil es zweitens diese Gegenwirkungen erst durch das Handeln aller und nicht jedes einzelnen für sich genommen eintreten; weil endlich drittens die Gegenwirkungen die Möglichkeit des Erfolges im einzelnen Falle nicht ausschließen, so sind wir nicht nur berechtigt, sondern sogar verpflichtet zu erklären, daß ein nicht näher zu bestimmender, stets aber ein bedeutender Teil der Veränderungen, die die Entwicklung in dem statischen Gebiete der Volkswirtschaft hervorruft, außerhalb der Pläne der Unternehmer liegen und als selbständiger Faktor deren Erfolg beeinflussen muß.“ (S. 445)

„Wir sehen jetzt weiter, daß alle die Bewegungen in der Volkswirtschaft, die die Entwicklung auslöst, das Gemeinsame haben, daß sie auf einen neuen Gleichgewichtszustand hinarbeiten. Notwendig und immer setzt im Gefolge der Entwicklung ein‚ Prozeß der Statisierung’ ein, der ebenso notwendig den Sieg über jede Teilentwicklung erringt. […] ...aber in Wirklichkeit fließen die Statisierung und die Vorboten neuer Entwicklung zusammen, kommt es zu dem Ruhepunkte, der das theoretische Zentrum des Vorganges bildet, gar nicht.“ (S. 447-448)

„Dieser Reorganisierungs- und Readjustierungsprozeß braucht in praxi oft sehr lange Zeit. Mitunter dauert er so lange oder selbst länger als die Aufschwungsperiode. […] Überhaupt werden viele Wirtschaftssubjekte an der bisherigen Wirtschaftsweise festhalten und mit den bisherigen Wertsystemen weiterwirtschaften wollen. […] Diese Liquidation geht nicht ohne Verluste vor sich, nicht ohne daß sie viele Werte und Hoffnungen begräbt und wirtschaftliche Existenzen vernichtet.“ (S. 449)

„Ein eigentlicher Zusammenbruch des Wert- und Preissystems und die Vernichtung zahlreicher wirtschaftlicher Existenzen tritt also nicht notwendig ein. Aber gewiß kann es vorkommen, daß manche oder viele Wirtschaften die notwendige Anpassung nicht durchführen können und zugrunde gehen müssen. […] Bezüglich der dynamischen Wirtschaften wissen wir, daß die Entwicklung ihre eigenen Bedingungen notwendig verändert und daß diese Veränderungen nicht vom Unternehmer beherrscht, von vornherein berücksichtigt oder selbst nur vorausgesehen werden könne.“ (S. 452; Herv. i. Orig.; Anm.: Bounded Rationality und Kontingenz!)

„Das Wesentliche an einer Krise, das was den Liquidationsprozeß mitunter zu einem abnormalen macht, liegt […] darin, daß in dem Momente, in dem die Wirtschaft in den Liquidationsprozeß einlenkt, Maßregeln ergriffen werden, die sich dann als überhastet und der Sachlage nicht entsprechend erweisen und die zur Liquidation nicht nötig gewesen wären. Das geschieht unter dem Einflusse von völliger Verzweiflung, von Paniken.“ (S. 459)

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