Kapitel 2: Das Grundphänomen der wirtschaftlichen Entwicklung.

Aus Leowiki

Wechseln zu: Navigation, Suche

Kapitel 2: Das Grundphänomen der wirtschaftlichen Entwicklung.

„Es sei kurz bemerkt, daß in unserm Sinne auch das bloße Wachstum der Wirtschaft, wie es sich in Bevölkerungs- und Reichtumszunahme darbietet, hier nicht als Entwicklungsvorgang bezeichnet wird. Denn sie ruft keine neuen Erscheinungen hervor, sondern nur Anpassungsvorgänge derselben Art, wie etwa die Änderungen der natürlichen Daten. Da wir unsern Blick auf andre Vorgänge richten wollen, so rechnen wir solche Zunahmen zu den Datenändernungen. […] Jetzt will ich einen zweiten Typus wirtschaftlichen Handelns vorführen, der ein neues und selbständiges Agens in der Volkswirtschaft darstellt, nämlich das schöpferische Gestalten auf dem Gebiete der Wirtschaft. Jenes passive ‚Konsequenzenziehen’ ist nicht das einzig mögliche wirtschaftliche Verhalten. Denn die gegebenen Verhältnisse kann man zu ändern versuchen. Tut man das, so tut man etwas, das in unserem Bilde der Wirklichkeit noch nicht enthalten ist, etwas, das besondere Erscheinungen zeitigen muß. Jenes Streben nach Bedürfnisbefriedigung aber ist – sei es gleich ausgesprochen – nicht der einzige Richtpunkt wirtschaftlichen Handelns, nicht sein einziges Motiv. Es gibt noch ein andres.“ (S. 104; Herv. L.D.)

„Wir gehen überhaupt von einer statischen Volkswirtschaft aus und stellen unser neues Agens in eine solche hinein, damit es sich in allen seinen Formen entsprechend abhebt. […] Außerwirtschaftliche Momente in unserm Sinne schließen wir also zunächst aus unserer Betrachtung aus.“ (S. 105.)

„Ein jedes Ereignis in der sozialen Welt erzeugt Wirkungen nach den verschiedensten Richtungen. […] Die Veränderungen eines Preises zieht prinzipielle Veränderungen aller Preise nach sich. Mögen auch manche der letzern so unbedeutend sein, daß wir sie in praxi nicht nachweisen können. Und alle diese Veränderungen haben dann ihrerseits wieder dieselben Wirkungen, wie jene erste, von der sie alle veranlaßt wurden, und wirken schließlich auf sie zurück. Wir hatten es in den Sozialwissenschaften immer mit einem solchen Gewirre von Wirkungen, mit Wechsel- und Rückwirkungen zu tun, in dem wir leicht den Faden verlieren können, der uns von Gründen zu Folgen leitet.“ (S. 105-106; Herv. i. Orig.)

„Wir unterscheiden ferner prinzipiell zwischen Wirkungen und Rückwirkungen eines Momentes. […] Jene Folgen, die sich aus seinem Wesen selbst ergeben, werden wir ‚Wirkungen der Entwicklung’ nennen. Andre Erscheinungen, die sich nicht direkt aus jenem Prinzipe ergeben, sondern die nur regelmäßig sich in seinem Gefolge einstellen, Erscheinungen, welche sich auf Grund anderer Erklärungsprinzipien verstehen lassen, wenngleich sie in letzter Linie ihre Existenz der Entwicklung verdanken, wollen wir ‚Rückwirkungen der Entwicklung’ nennen.“ (S. 106)

„Die Statik leistet in praxi wirklich in weitem Maße, was sie soll. Jene Konstanz ist nicht bloß Annahme – als welche wir sie in unserer Theorie gestellt haben – sondern zum Teile auch reale Tatsache.“ (S: 107)

„Die Statik behauptet soweit nur, daß Veränderungen sich nicht aus dem Wesen der Wirtschaft selbst ergeben.“ (S. 108; vgl. Solow-Modell, Blanchard 2005)

„Neue Maschinen, neue kommerzielle Kombinationen werden nur und erst dann eingeführt, wenn sie von außen dargeboten, erstere also etwa von einem Agenten aufgedrängt, letztere durch Bestellungen und Angebote dem ‚Fabrikanten’ gleichsam auf den Weg gelegt werden. Selbst dann sträubt er sich of noch, indem er z.B. besondere Garantien, Vorausbezahlung oder Sicherstellung des Preises, Kreditgewährung usw. verlangt, wenn er nicht gar eine Beziehung mit einem ihm fremden Markte schlechthin ablehnt.“ (S. 109; Herv. i. Orig.)

„Und dabei kann man nicht sagen, daß der Bauer nicht ökonomisch wirtschafte. In einer solchen Behauptung liegt stets die Verwechslung von ‚ wirtschaftlich Handeln’ und ‚mit größter Einsicht Handeln’.“ (S. 113)

„Aber weiters gibt es auch in der Gegenwart fast ganz stationäre Kulturvölker. Hierher gehören die Chinesen und die indischen Völker. […] Abgesehen davon aber geben sie uns einen deutlichen Beleg dafür, daß die entwicklungslose Wirtschaft keine Fiktion und die Entwicklung daher kein Scheinproblem ist. […] In der Wirtschat des Naturmenschen scheint es keinen Entwicklung zu geben, wenn man von solchen Veränderungen absieht, die auf den Einfluß von Europäern zurückzuführen sind. Gibt es eine solche, dann muß sie unmerklich sein, denn die Ethnologie berichtet m. W. nichts davon.“ (S. 113-114)

„Von jenen Widerständen, die die Beschränktheit der vorhandenen Mittel dem Betreten neuer Bahnen entgegensetzt, sprechen wir nicht. Dieselben sind ja klar und werden von der Theorie berücksichtigt.“ (S. 117)

„Aber zwei andre Gruppen von Widerständen sind interessanter und sie wollen wir genauer betrachten: Die eine besteht in dem Gegendrucke, mit dem das soziale Milieu demjenigen begegnet, der sein wirtschaftliches Verhalten ändern will. […] Jedes abweichende Verhalten eines Gliedes der sozialen Gemeinschaft begegnet der Mißbilligung der übrigen Glieder. […] Und dieser Druck ist für die Masse durchaus zwingend. Der einzelne, besonders in unserm kulturellen Milieu und hier wiederum in den ‚freien’ Berufen, wird sich von ihm losmachen können. Die Mehrzahl der Wirtschaftssubjekte kann ihn nicht ignorieren. Die zweite Gruppe von Widerständen findet ein jeder in seiner eigenen Brust. Es ist eine psychische Tatsache, daß es unendlich viel leichter ist, eine scharf ausgetretene Bahn zu begehen, als eine neue einzuschlagen. […] Es erfordert dies eine neue und anders geartete Willensaufwendung, deren nicht jedermann fähig ist, und es involviert dies immer ein Risiko von andern und ganz neuen Gefahren.“ (S. 118-120)

„Es ist wichtig, festzuhalten, daß es nicht bloß schwieriger ist, Neues zu tun, sondern daß es überhaupt etwas wesentlich andres involviert. Die Schwierigkeiten, denen man dabei begegnet, sind nicht etwa nur graduell von denen verschieden, die es auch in den gewohnten Bahnen zu überwinden gibt, sonder es sind andre Schwierigkeiten. Wir treffen da auf Widerstände, die es innerhalb der Grenzen der ausgefahrenen Bahnen überhaupt nicht, und nicht nur in geringerm Maße gibt.“ (S. 121; Herv. i. Orig.)

„Alle diese Bindungen begründen ja doch, so könnte man sagen, nur ‚Reibungswiderstände’ und das wirtschaftlich-rationelle Handeln muß sich schließlich auch ihnen gegenüber, wenngleich nicht sofort oder schnell, durchsetzen. Gewiß kann man sie so nennen. Aber dann darf man nicht übersehen, daß sie eine wesentlich andere Rolle spielen als das, was man üblicherweise in der statischen Theorie unter ‚Reibungswiderständen’ versteht. Bedeutet diese Einwendung, daß beide Klassen von Reibungswiderständen dieselbe Rolle haben, dann ist sie falsch. Und zwar aus folgenden Grunde: Daß der Mensch rationell wirtschaftlich handle, so daß sich auch seine auf Erfahrung und nicht auf jedesmaligen Entschlüssen beruhenden Maßregeln ‚rationalistisch’ erklären lassen, ist unter allen Umständen eine Hypothese. […] Es ist zweifellos so innerhalb der ausgefahrenen Bahnen der statischen Wirtschaft. In ihrem Rahmen handelt so gut wie jeder Mensch nach seinem Gesichtskreise rationell-wirtschaftlich. […] Aber infolge der erwähnten Bindungen ist das anders, wenn die Daten nach rationalistischen Regeln zu ändern wären, wenn Neues zu schaffen ist. Da bewährt sich unsere Hypothese nicht. Jedem kann ich zutrauen, daß er zwischen Apfel und Birne zu wählen vermag, so gut wie jedem auch, daß er den höchsten Preis fordert und den niedrigsten bietet. Aber ich kann den meisten Leuten nicht zutrauen, daß sie planvoll und energisch durch jene Bindungen brechen. Hier entbehrt unsere Hypothese der breiten Tatsachenbasis, die sie trägt, solange man eine statische Wirtschaft betrachtet.“ (S. 122-123, Anm.: Rationalitätsmythen!)

„Wird nicht in der Volkswirtschaft ein allgemeiner Wunsch nach Veränderung bestehen und langsam den Druck der Bindungen zersetzen, wie der Tropfen den Stein aushöhlt? Gewiß müßte das endlich geschehen und gewiß besteht eine solche Tendenz. Aber […] diese [ist] nicht die treibende Kraft der Entwicklung. Wäre sie es, so wären wir jetzt noch auf dem Niveau der Pfahlbauten und vielleicht nicht einmal so weit. Es gibt eben ein andres Agens, das unendlich viel schneller arbeitet und das die Entwicklung der Wirklichkeit erklärt. […] Deshalb ist die Überwindung der Bindungen ein besonderes Problem. […] Wir finden dieses Agens der Entwicklung in einem besonderen Typus wirtschaftlichen Handelns.“ (S. 123-124; Anm.: „normale“ Märkte: Unternehmer von Nachfragern abhängig, der Unternehmer ist „irrational“ und muss Bindungen durchbrechen; „Netzeffektmärkte“: Nicht nur der Unternehmer, vor allem der Nachfrager ist „irrational“, (auch) er muss dann Bindungen durchbrechen)

„Nur innerhalb der gegebenen Arbeitsmethoden herrscht völlig freie und bewußte Wahl und liegt ein lediglich vernunftgemäß zu begreifender Handlungsspielraum. Auf diese Art wird nie ‚Neues’ geschaffen, kommt es zu keiner eigenen Entwicklung jedes Gebietes, gibt es nur passives Anpassen und Konsequenzenziehen aus Daten. […] Es gibt noch einen andern, es gibt auch schöpferisches Neugestalten.“ (S: 125; Herv. i. Orig.)

„Der Wunsch nach Bedürfnisbefriedigung in wirtschaftlichem Sinn also, der Wunsch nach Erwerb wirtschaftlicher Güter zum Konsum ist unzweifelhaft nicht Erklärungsgrund und Maß für diese anderen Tätigkeiten, wenigstens nicht für die Gesamtheit der unter sie fallenden Handlungen. […] Die wirtschaftliche Arbeit hört auf in dem Momente, wo die Arbeitsermüdung dem weiter noch zu erwartenden Genußzuwachs gleichkommt. In ihrer Allgemeinheit gilt diese Behauptung auf für das künstlerische Handeln. […] Was immer der Künstler erworben haben mag, er wird in seiner Tätigkeit noch weiter fortfahren, und seine Tätigkeit ist unter diesen Umständen nicht eine Form passiver Anpassung an andre gegebene Verhältnisse, sondern vielmehr eine Ursache stets weiterer originärer Veränderungen.“ (S. 126-127)

„Der eine Typus soll als ‚statisch’ der andere als ‚dynamisch’ bezeichnet werden. Und mit dieser Bezeichnung soll uns eine andre gleichbedeutend sein, nämlich ‚hedonisch’ und ‚energisch’. Wir sprechen nicht nur von hedonischen oder statischen und von energischen oder dynamischen Typen des Handelns, sondern auch von hedonischen oder statischen und von energischen oder dynamischen Individuen, wobei wir unter den erstern jene verstehen, an denen wir lediglich hedonisch-statisches Handeln wahrnehmen, unter den letztern jene, die wir auch dynamisch-energisch handeln sehen. Warum wir das ‚dynamische’ Handeln auch als energisches bezeichnen, dürfte klar sien. Wir denken dabei an den Kampf mit jenen ‚Bindungen’, den nicht jeder aufnehmen kann.“ (S. 128; Herv. i. Orig.; Anm.: Verweis des Frankfurter Interview-Partners Landsiedel „Da müsste sich jemand der Sache annehmen“, Verweis auf die Politik, die aber eben nicht energisch, sondern statisch agiert.)

„Vom hedonischen Standpunkte würde sich ein Kampf mit den Bindungen so gut wie nie empfehlen. Hedonische Motive charakterisieren ferner in der Regel solche Individuen, bei denen auch jene gewisse Schwäche der Entschlüsse vorliegt, die dazu führt, daß man in den alten Bahnen bleibt. […] Der Wertgedanke an sich allerdings gilt allgemein. Aber man kann hedonische und nichthedonische Werte unterscheiden. […] Aber auf dem Gebiet des Wirtschaftens liegt die Sache anders. Ein andres als hedonisches Verhalten scheint da unmöglich, zweckwidrig zu sein.“ (S. 129; Anm.: deshalb auch die Versuche der „rationalistischen“ Rechtfertigung „irrationalen“ bzw. in Schumpeters Terminologie „zweckwidrigen“ Handelns bzw. die Ablehnung desselben als zweckwidrig, nicht rational >> vgl. in Frankfurt die Aussage Landsiedels „Das rechnet sich nicht!“.)

„Hedonisches Verhalten also, nicht aber bloß ein Verhalten entsprechend dem ‚wirtschaftlichen Prinzip’, scheint hier das einzig Vernünftige zu sein. Es ist offenbar selbstverständlich, daß nur erworben wird, um zu genießen – jedes andere Ziel scheint da widerspruchsvoll zu sein, geradezu auf einen geistigen Defekt hinzuweisen. Aber dennoch finden wir Leute, auf welche das Bild der Statik nicht paßt. […] Die wesentlichen Merkmale dieses Typus sind erstens die Energie des Handelns und zweitens eine besondere Art der Motivation.“ (S. 131)

„Wir meinen damit, daß für unsern Typus aus den Daten nicht eine eindeutig bestimmte Handlungsweise oder doch nicht jene eindeutig bestimmte Handlungsweise ergibt, die wir beim statischen Wirtschaftssubjekte beobachten. […] Während ein statisches Wirtschaftssubjekt aus ihnen in einer charakteristischen Weise ‚passiv’ die Konsequenzen zieht, gestaltet sie unser Mann der Tat. […] Unser Mann der Tat folgt nicht einfach gegebener oder unmittelbar zu erwartender Nachfrage. Er nötigt seine Produkte dem Markte auf.“ (S. 133; Herv. i. Orig.; vgl. Anm. zu S. 124)

„Keine neue Maschine, keine neue Marke eines Genußgutes wird unter dem Drucke vorhandener Nachfrage erzeugt. […] Sind die Leute einmal an wirtschaftlicher Entwicklung gewöhnt, sind sie einmal alert geworden und gibt es für sie jene Gebundenheit nicht mehr, die jede primitive Wirtschaft zeigt, dann allerdings verschwimmen unsere Typen in der Wirklichkeit mehr und mehr. […] Das Moment der Nachfrage muß dem Momente des Angebots als unabhängige, letzte Ursache gegenüberstehen, wenn unser Bild auf die Vorgänge passen soll. Wird die Nachfrage erst vom Angebote geweckt, dann ist sie das nicht, dann haben wir nicht zwei selbstständige Kräfte vor uns und zwei selbständig wirkende Gruppen von Wirtschaftssubjekten, sondern ein neues Phänomen – ein Angebot, das in letzter Linie, wenn auch durch eine Nachfrage hindurch, auf sich selbst als Ursache zurückgeht. (S. 134; Anm.: Entscheidend ist aber das schöpferische Element und hier ist schon die Frage, wo das im (konkreten) Fall jeweils liegt, das kann auch auf Seiten der Nachfrage liegen...)

„Man muß Güter auch noch aus andern Gründen erwerben wollen als um sie zu konsumieren oder der Konsumtion anderer Leute zuzuführen. Welches sind nun diese Motive? Wir finden deren zwei: Die Freude an sozialer Machtstellung und die Freude an schöpferischem Gestalten.“ (S. 138)

„Das hindert aber nicht, daß, wenn diese Gewohnheit einmal geworden ist, man sich auch Fragen vorlegen kann, ohne daß eine praktische Notwendigkeit sie uns aufdrängt, und daß man sich der Wissenschaft ohne Rücksicht auf und selbst ohne jedes Interesse für praktische Anwendbarkeit der Resultate widmen kann. So verhält es sich auch in unserm Falle. Die Wirtschaft wird aus Notwendigkeit für manche Individualitäten zum Stoffe, den sie bilden um des Bildens willen. […] Dabei ist seine Schöpferfreude von der etwa seines Ingenieurs zu unterscheiden. Nicht um das technische Moment als solches, das ja etwas Außerwirtschaftliches und daher ohneweiters Gegenstand schöpferischen Gestaltens anerkannt ist, sondern um das wirtschaftliche handelt es sich. […] Denn einzelne Beispiele von leitenden Männern des Wirtschaftslebens anzuführen empfiehlt sich nicht, vor allem deshalb, weil im einzelnen Falle verschiedene Interpretationen der jemand leitenden Motive stets möglich sind.“ (S. 142-143; Herv. i. Orig.)

„Der Künstler, der Gelehrte, der Politiker und auch unser Industriekapitän – sie alle haben nur eine relativ kurze Spanne Zeit zu wirklich schöpferischer Tätigkeit. Dann tritt eine eigentümliche Erschöpfung ein. Der Mann ist nicht mehr ‚er selbst’. […] Die Bedeutung unsres Typus für unsre Zwecke liegt darin, daß wir in ihm das gesuchte Agens der Entwicklung finden. […] Ein steter Anstoß zur Veränderung geht von ihm aus. Er ist ein Agens der Entwicklung insofern, als er eine stete Quelle von Veränderungen auf dem Felde der Wirtschaft ist, und er ist das Agens der wirtschaftlichen Entwicklung, weil er eine Veränderung der Wirtschaft aus der Wirtschaft selbst heraus erzeugt.“ (S. 147; Herv. i. Orig.)

„Aber gewissen naheliegenden Einwendungen müssen wir doch noch begegnen. Die erste ist die, daß unter allen Umständen das wirtschaftliche Handeln als das Resultat eines schmerzfliehenden und lustsuchenden Wollens aufgefaßt werden und daher immer ein Gleichgewichtszustand bestimmt werden kann, in dem sich diese beiden Momente die Waage halten. Man braucht bloß das Ziel unsres Typus den Genuß von Machtstellung oder den Genuß, den ihm die Anstrengung bereitet, aufzufassen. Dann sucht er Genuß, wie alle anderen Leute, und das Problem ist wieder auf eine hedonische Basis reduziert. […] Dieser Einwand ist überaus billig. Ebenso hat man den Unterschied zwischen egoistischer und alturistischer Handlungsweise verwischen wollen, da ja letztre zweifelsohne ein Bedürfnis befriedigt und folglich auch egoistisch sei. Das ist eine Spielerei, die die Tatsachen nur entstellt. […] Die Tatsache, daß man es mit zwei grundverschiedenen Typen zu tun habe, deren Wirkungsweise diametral entgegengesetzte Folgen zeitigt, wird dadurch nicht wegformuliert. So auch in unserm Falle. Wenn man sagt, daß ein Sieg über andre Genuß bereitet oder Bedürfnisse befriedigt, so ist eben dieser Genuß und diese Bedürfnisbefriedibung etwas ganz andres – und Streben danach führt zu einer ganz andern Handlungsweise – als Genuß und Befriedigung hedonischer, passiver Art. Das Tun, das Selbstzweck und jenes, das der Gewinnung von passiven Genüssen gewidmet ist, folgt eben andern Gesetzen. (S. 149; Herv. i. Orig.)

„Ob Birnen oder Trauben gewünscht werden, ist für die Theorie gleichgültig. So formal aber ist sie nicht, daß auch der Unterschied zwischen Bedürfnisbefriedigung hedonischer Art und etwa Arbeitsfreude bedeutungslos wäre. Die Wirtschaft gestaltet sich völlig anders, je nachdem das eine oder das andre angestrebt wird. […] Kurz also: Die hier bekämpfte Auffassung versucht eine Verallgemeinerung des Begriffes ‚Bedürfnisbefriedigung’, welche wesentliche Tatsachen verdunkelt und, um richtig zu sein, zu einer Tautologie wird.“ (S. 150; Herv. L.D.)

„Auch diese schöpferische Gestalten aber muß doch mit den vorhanden Daten rechnen. Ja noch mehr. Man könnte sagen, daß es nichts andres in der Zukunft schaffen kann als wozu die Gegenwart den Keim birgt. […] [D]ie Kontinutät des wirtschatlichen Lebens [bleibt] auch in seinem Falle gewahrt. Endlich kann man von einem bestimmten Standpunkt aus die Existenz unsres schöpferischen Gestaltens überhaupt leugnen. […] Was uns als schöpferisches Gestalten erscheint, so könnte man sagen, braucht in Wirklichkeit noch lange nicht undeterminiert zu sein. […] Darauf entgegne ich: Unter die Daten der Wirtschaft können wir einen solchen ‚Vorrat an Kraft zu schöpferischem Gestalten’ deshalb nicht rechnen, weil sich derselbe anders verhält als die übrigen. Er stellt ein Agens dar, das immer neue Veränderungen erzeugt, während die übrigen Daten eben einen Gleichgewichtszustand bestimmen.“ (S. 151-152; Anm.: Zähmung bzw. Entfesselung dieses „Agens“ in China vor bzw. nach 1990)

„Gewiß muß ferner auch der Mann der Tat mit den gegebenen Verhältnissen rechnen und gewiß kann er nur das schaffen, wozu die Zeit gekommen ist.<ref name="ftn0">Man kann sogar sagen, daß auch sein Handeln nur „Anpassung“ sei – aber dann ist es eben eine andre Art von Anpassung, eine Anpassung nach andern Regeln als die statische.</ref> Wir meinen natürlich nicht, daß es ihm frei stehe, in die Wirtschaft eines nomadisierenden Hirtenvolks den modernsten Hochofenprozeß einzuführen. Aber er zieht andre Konsequenzen aus den Daten der ihn umgebenden Welt, als die Masse der statischen Wirtschaftssubjekte, Konsequenzen, die vom Standpunkte der statischen Wirtschaft schöpferisch sind, und er ändert die ausgefahrenen Bahnen.“ (S. 152; Herv. u. Fußnote i. Orig.; Anm.: Kontingenz! >> Pfade: erst bzw. sobald Kontingenz besteht bzw. Kontingenz wahrgenommen wird, gibt es überhaupt das Potential zu „schöpferischem“, i.e. pfadbrechendem, Handeln >> wiederum auf Anbieter wie auf Nachfrager-Seite, evtl. besteht die Pfadbrechung des Anbieters gerade in der Sichtbarmachung der vorhandenen Kontingenz auf Seiten des Nachfragers)

„Uns kommt es lediglich darauf an, daß das schöpferische Gestalten die letzte für uns exakt erfaßbare Tatsache ist, es berührt uns aber nicht, ob es sozusagen zu eigenem Rechte wirkt oder in ihm nur andre sachliche, wenngleich außerhalb der statischen Wirtschaft liegende Momente zu Wort kommen. […] Es unterbricht die Kontinuität jener Art des Wirtschaftens, die wir als statisch bezeichneten.“ (S. 153, Herv. i. Orig.)

„Ich meine: Das schöpferische Gestalten verändert, wie wir sehen werden, die Daten auch der statischen Wirtschaften. Die letztern müssen sich anpassen.“ (S. 154; Anm.: Pfadabhängigkeit als diejenigen Fälle, wo die unglaubliche Dynamik kapitalistischer Innovationskraft durch eben spezifisch-selbstverstärkende Mechanismen sosehr gebremst wird, dass eher nicht-wirtschaftliche Interventionen notwendig sind, um den statischen Zustand zu beenden?? Oder zumindest auch schöpferisches Handeln auf Nachfrage-Seite??)

„Auch das Moment der Tatenlust wirkt durch auf einmal sich äußernde, diskontinuierlich auftretende Entschlüsse. Dadurch eben wird es zum Hebel der Entwicklung, zum Hebel, der die Wirtschaft aus ihrer statischen Bahn herauslenkt. […] Nur soweit ein anderer Weg gewählt wird, soweit schöpferisches Gestalten in Frage kommt, gibt es einen eigentlichen Entwicklungsvorgang, d.h. einen die Kontinuität unterbrechenden Übergang zu neuen wirtschaftlichen Niveaus.“ (S. 155)

„Wie die Nachfrage nur dann für die Wirtschaft in Betracht kommt, wenn sie effektiv ist, so werden auch jene Momente nur dann von Bedeutung, wenn sie zum Kampfe mit den geschilderten Widerständen führen, man könnte sagen, wenn sie sich mit Tatenlust kombinieren.“ (S. 156; Anm.: Entscheidend ist eben, wer den Kampf führt, dort liegt das schöpferische Element bzw. Gestalten)

„Der Begriff des ‚schöpferischen Gestaltens’ ist also zunächst der weitere, er umfaßt sowohl hedonische wie energische Motive. Sodann aber sehen wir, daß es auch ohne die erstern, aber kaum jemals ohne die letzern zu schöpferischem Gestalten kommen würde.“ (S. 156)

„Viele und gerade die stärksten Individualitäten werden anders handeln, als man nach den Sätzen der Statik annehmen sollte. Aber wie? Sie werden Neues schaffen und Altes zerstören, kühne Pläne irgendwelcher Art konzipieren und durchführen, deren Originalität aller Erfassung zu spotten scheint, ihre Mitbürger ihrer Herrschaft unterwerfen, vielleicht die nationale Politik und Organisation beeinflussen, ...“ (S. 157)

„Es muß Neues geschaffen werden und dieses Neue kann zunächst, d.h. bis sein Erfolg realisiert ist, in nichts anderm bestehen als in neuen Verwendungsarten vorhanender Mittel. ‚Neu’ heißt hier ‚heuartig’. In gewissem Sinne ist jeder neue Rock etwas Neues. Aber das meinen wir hier nicht. Der Ton liegt darauf, daß etwas geschaffen wird, was in dem statischen Zustande der Wirtschaft, von dem wir ausgehen, nicht bereits regelmäßig geschaffen zu werden pflegte, was dem Wertsystem der Statik zunächst fremd gegenübersteht und erst nach und nach von ihm assimiliert werden muß, wobei dasselbe mehr oder weniger verändert wird.“ (S. 158)

„Das nächstliegende Beispiel ist die Produktion eines bisher noch nicht bekannten Gutes. […]Auf derselben Stufe steht natürlich die Einführung einer neuen Qualität eines Gutes oder einer neuen Verwendung eines bereits bekannten. Aber auch eine neue Produktionsmethode für eine der bisher produzierten Güter ist als eine ‚neue Kombination aufzufassen. […] Der typischste Fall […] ist die Gründung einer neuen Unternehmung.“ (S. 159; Anm.: Schumpeter spricht entsprechend von einer ‚partiellen Neugründung’, wenn die neue Kombination von einer bestehenden Unternehmung ausgeht.)

„Daß ein Wirtschaftssubjekt sich bei gegebenen Kombinationen so gut einrichten werde als es möglich ist, ist eine Behauptung von bestimmtem, gesundem Sinne. Daß jene Kombinationen die besten seien, die die natürlichen und sozialen Verhältnisse gestatten, ist dagegen unmöglich. Das technische und kommerzielle Produzieren ist innerhalb eines bestimmten natürlichen und sozialen Milieu und selbst innerhalb eines bestimmten Standes technisch-wissenschaftlicher Erkenntnis praktisch unbegrenzt verbesserbar. […] Nur in bezug auf eine gegebene Produktionsweise gibt es einen relativ besten Zustand, ohne eine solche aber nicht. […] Das Ideal des statischen Gleichgewichtszustandes ist prinzipiell erreichbar, da es sich dabei nur darum handelt zwei entgegengesetzte Kräfte, Nutzen und Kosten, bei jeder gegebenen Verwendungsweise der Produktionsmittel zu balancieren. Die ideale Verwendungsweise selbst ist nicht erreichbar, weil es hinter ihr notwendigerweise immer noch ‚idealere gibt[.] […] Von einem Gleichgewichtszustand und einer ruhenden Wirtschaft können wir also nur unter der Annahme sprechen, daß die Kombinationen alle fest gegeben sind. Diese Annahme hat die bisherige theoretische Ökonomie im allgemeinen tatsächlich gemacht, wenn auch meist nicht ausdrücklich[.]“ (S.160-161; Herv. i. Orig.)

„Zugleich liegt in der Durchsetzung neuer Kombinationen der Umstand, der macht, daß die Wirtschaft nicht statisch ist, es liegt in ihr das Wesen und der Inhalt der Entwicklung. Dagegen liegt ihr Wesen nicht im statischen Wachstum der Wirtschaft, etwa in der Zunahme von Bevölkerung oder ‚Kapital’.“ (S. 162; vgl. das neoklassische Solow-Modell, das genau gegenteiliges behauptet bzw. Wachstum und Entwicklung in eins setzt.)

„Es erhebt sich die Frage: Wie setzt sich das neue in der Wirtschaft durch? […] In der Psyche einer kleinen Gruppe der Wirtschaftssubjekte<ref name="ftn1">Der Leser sieht, worauf ich hinaus will. Wie die Durchsetzung neuer Kombination Form und Inhalt der Entwicklung ist, so ist das Tun des Führers ihre treibende Kraft. Wären alle Wirtschaftssubjekte gleich weitblickend und energisch, so müßte unser Bild der Wirtschaft natürlich anders ausfallen. Aber es ist nicht so, und wir meinen, daß hier graduelle Unterschiede der Persönlichkeiten, die für die einfache Logik der Wirtschaft prinzipiell irrelevant sind, zu wesentlichen Erklärungsmomenten des Geschehens werden.</ref>. Weitaus die meisten Leute sehen sie [mögliche neue Kombinationen, Anm.] nicht. Für diese existieren sie nicht.“ (S. 162; Herv. u. Fußnote i. Orig.; Anm.: Entscheidend ist eben der Akteur, die Kontingenz)

„Und so wertlos sind für die Praxis selbst sorgfältig ausgearbeitete Einfälle, daß der ‚Praktiker’ meist nur ein Lächeln für sie hat und allzuviel Plänemachen direkt als ein geistiger Defekt angesehen wird. Nicht ohne Recht; oft ist die einzige Folge, daß die statische Tätigkeit jener Pläneschmiede leidet. Aber immerhin leisten sie eine Vorarbeit, deren Früchte sie freilich fast nie genießen. Dann aber gibt es eine noch geringere Minorität – und diese handelt. […] Die neuen Kombinationen kann man immer haben, aber das Unentbehrliche und Entscheidende ist die Tat und die Kraft zur Tat.“ (S. 163, Herv. i. Orig.)

„Die neuen Kombinationen sind zunächst nichts Materielles, sie sind zunächst überhaupt nichts. Ihr Vorhandensein im Bewußtsein einiger Leute ändert nichts an dem Gange der Wirtschaft und ist an sich, wie wir sahen, so bedeutungslos wie die Kanäle im Mars. […] Auf die vorhandenen Güter wirkt sie nicht sofort, wohl aber auf deren Werte und durch diese auf die Preise.“ (S. 164)

„Die Zukunft wirkt also machtvoll in das Wertsystem der Gegenwart hinein, so unkörperlich ihre Macht ist. […] In einer fortschrittlichen Volkswirtschaft, in der jedermann Neues sich entwickeln sieht und noch mehr davon hört, wird ein viel weiterer Kreis mit Zukunftswerten rechnen und besonders im Preiskampf von ihnen Vorteil zu ziehen suchen, als bloß der unsrer Männer der Tat. […] Es ist nur ein unsicheres Glücksspiel, das jene Outsider treiben, und es schlägt häufiger zu ihrem Schaden als zu ihrem Vorteile aus. […] Die typischeste Verkörperung von Zukunftswerte ins eine neue Unternehmung.“ (S. 169-170)

„Erst in der modernen Wirtschaft hat sich jedoch der energische Typus auf wirtschaftlichem Gebiete so bedeutsam entwickelt, daß er eine besondere Klasse von Wirtschaftssubjekten charakterisiert und einen eigenen Namen erhalten hat, nämlich Unternehmer.“ (S. 171; Herv. i. Orig.)

„[D]er Unternehmer [ist] nicht bloß eine Erscheinung der modernen Wirtschaft. […] Ohneweiters wird man uns gestatten, einen Jakob Fugger und selbst einen phönizischen Kaufmann in diese Kategorie einzureihen.“ (S. 173)

„In der richtigen Wahl liegt ein wesentliches Kriterium seiner Befähigung. Der Vorgang ist nun nicht so zu denken, daß er alle Möglichkeiten sorgfältig studiert und so zu einem exakten Resultate kommt. So würde er nie dazu kommen zu handeln.“ (S. 177; Herv. L.D.; Anm.: „richtige Wahl“ setzt notwendigerweise echte Wahlmöglichkeit iSv Kontingenz voraus.)

Die Gedanken selbst sind meist schon allbekannt lange ehe sie ‚praktisch werden’, ehe sie ein Mann der Tat als Substrat seiner Tätigkeit wählt. Aber unmöglich wäre es ihm – oder irgendjemand – ihren Wert exakt festzustellen. Dennoch muß er handeln und Stellung nehmen in den Fragen der Zeit. Ob er das richtig tut, zeigt erst der Erfolg.“ (S. 178; Herv. L.D.)

„Die Entwicklung der Wirtschaft tendiert [...] nicht nur zu immer weiterer Spezialisierung der einzelnen wirtschaftlichen Funktionen, sondern sie evolviert auch im Zusammenhange damit die einzelnen Typen von Wirtschaftssubjekten mehr und mehr, so daß sie sich immer näher den abstrakten Begriffen der Theorie anzupassen streben. […] Immerhin muß bemerkt werden, daß noch die Klassiker den Unternehmer mit dem Kapitalisten zusammenwarfen.“ (S. 179)

„Immer häufiger werden die Fälle, in denen der Promotor keineswegs der Schöpfer der Unternehmung ist, die er ‚gründet’.“ (S. 180)

„Die Masse der Leute ist statisch-hedonisch disponiert. […] Ist eine neue Tat gelungen, dann ist die nächste schon viel leichter, aber eben um die erste handelt es sich hier. […] Die Masse vermag nicht zu beurteilen, wohin das Neue führt, und von ihrem Standpunkte ist es oft geradezu Torheit, sich darauf einzulassen. Ich glaube nicht, daß man die Lebenswahrheit dieses Bildes prinzipiell bestreiten wird.“ (S. 183-184; Herv. L.D.; Anm.: vgl. Bandwagon-Effekte etc.)

Die statisch-hedonisch disponierte Majorität wird nicht zur Kooperation überredet oder sonst für dieselbe gewonnen. Niemand fragt sie um ihre Ansicht. Sie wird dazu gewzungen.“ (S. 184, Herv. i. Orig.)

„Auch der Arbeiter wird nicht danach fragen, ob seine Arbeitsleistung zu statischen oder dynamischen Zwecken verwendet wird – und oft wird er das gar nicht beurteilen können – wenn nur der Lohn der gleiche und die Arbeit nicht schwerer oder sonst unangenehmer ist.“ (S. 188)

„Jede konkrete Entwicklung, die wir wirklich beobachten, basiert auf andern Entwicklungserscheinungen. Die Entwicklung erzeugt immer weitere Entwicklung.“ (S. 189)


Backlinks

Kapitelübersicht - Buchverzeichnis

Persönliche Werkzeuge